Sonntag, 23. Juli 2017

| Eigenes | Kamikaze

Show me paradise where all I saw was sin


Jeder Mensch hat eine gewisse Zeit in seinem Leben, die ein bisschen verschwommen wirkt. Eine Zeitspanne von Tagen, Wochen oder Monaten die zu einem einzigen Strudel aus Erinnerungsfetzen und Momentaufnahmen verschmelzen.

Mein Strudel sind die Monate nach meinem Schulabschluss. Meine Zeit, die ich mit David verbrachte.

Ich hatte mein Abitur als Jahrgangsbeste bestanden. Meine Eltern wollten, dass ich ab Herbst BWL studierte, ich traute mich nicht ihre Wut zu entfesseln und ihnen zu gestehen, dass das ihr Traum war und nicht meiner. Doch, ich war noch nie besonders eigenwillig gewesen, hatte immer dem Plan, den Befehlen gefolgt, mich angepasst.

Um den Sommer zu überbrücken oder, wie ich mir sicher war, unter Kontrolle zu bleiben schickten meine Eltern mich nach Berlin zu meiner Tante Vanessa. Vanessa hatte ein kleines schickes Café im Herzen von Berlin – bevölkert mit Geschäftsleuten, Künstlern, Studenten, Arbeitern, Arbeitslosen. Jede erdenkliche Gesellschaftsschicht versammelte sich in diesem Café und genoss den Ruhepol mitten in einer hektischen Stadt.

Während die Sonne in diesem Sommer unbarmherzig eine Hitzewelle nach der Anderen über die Stadt legte, kellnerte ich jeden Tag und versuchte nicht zu viel Angst vor der Zukunft zu bekommen. Mir kam nicht mal in den Sinn einfach etwas Anderes zu machen, mich zu widersetzen. Ich wusste nicht, was ich wollte, hatte keine Ahnung was mich erfüllen könnte. Also folgte ich dem Plan, wie ich es immer tat.

An einem wunderschön ruhigem Sonntag bemerkte ich einen jungen Mann an einem der beliebtesten Plätze, direkt am großen Panoramafenster, durch welches man einen Blick auf die gesamte Straße hatte, welche in diesem Moment von der Morgensonne in ein goldenes Licht getaucht wurde.

Er fiel mir sofort auf, weil er so wirkte, als würde er jede Sekunde vom Stuhl fallen oder seinen Kopf auf den Tisch legen, um ein bisschen Erholung zu bekommen. Seine Klamotten wirkten zerknittert und zerschlissen, durchgeschwitzt von einer durchzechten Nacht. Seine Haare standen wild in alle Richtungen ab, er hatte dunkle Ringe unter den grünen Augen und einen dunklen Bartschatten am Kinn.

Als ich auf ihn zuging, um ihn zu fragen, ob er bestellen oder sterben wollte, sah er zu mir auf. Ich habe nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, mir nichts daraus gemacht, wenn ein Mann Augenkontakt zu mir aufnahm. Doch, in diesem Moment, als ich David zum ersten Mal in die Augen sah, fühlte ich etwas. Rückblickend denke ich, dass ich einfach nur einen Ausweg aus meiner Situation gesucht habe. Es hätte mich jeder Mann ansprechen können und ich hätte, verzweifelt und einsam wie ich war, nicht abgeblockt.

Vom ersten Moment an verzauberte David mich mit seinem Charme, schmeichelte mir durch Lächeln und Blicken, gab mir das Gefühl das Wichtigste zu sein. Er konzentrierte sich ausschließlich auf mich, wenn er mit mir redete, blendete alles andere aus. Ich weiß nicht wie es geschah, was ich gesagt hatte, aber schon wenige Minuten später saß ich ihm Gegenüber am Tisch und wir unterhielten uns angeregt über die Stadt, die Menschen, das Leben.

Gekonnt umschiffte er persönliche Themen, wollte Dinge über mich erfahren, mich kennenlernen. Damals fiel mir nicht auf, dass ich ihn eigentlich kaum kannte, denn David war ein Meister darin, dass Thema zu wechseln, sobald es zu privat wurde.

Meine Tante Vanessa nannte ihn nach dem ersten Blick einen „Versager“ mit dieser bestimmten Aura, die die Menschen umgab, die in ihrem Leben bisher nie etwas zu Ende gebracht hatten.
Wie ein Versager wirkte er nicht auf mich, eher ein bisschen verloren und ich bildete mir ein, dass ich ihm zeigen könnte, wie er sich selbst wiederfand. Wie naiv ich gewesen bin, wollte mir lange Zeit nicht bewusst sein.

David kam nun regelmäßig ins Café, setzte sich an einen Tisch und nuckelte stundenlang an einer Cola und immer wenn ich fünf Minuten Zeit hatte, setzte ich mich zu ihm und wir redeten über alles und nichts. Vor allem redeten wir nie über ihn, seinen Job, seine Geschichte, seine Probleme. Er zeigte mir logische Auswege aus meiner Situation, schien mich zu verstehen. Ich kam mir unfassbar besonders vor, weil ein erwachsener Mann Interesse an mir zeigte. Es war ein unheimlicher Schub für mein Ego, dass ein 25- jähriger Mann an einem grauen Mäuschen wie mir Interesse zeigte.

Schon bald darauf traf ich mich mit David außerhalb des Cafés. Vanessa warnte mich, dass sie kein gutes Gefühl dabei hätte, doch ich hörte nicht auf sie. Zum ersten Mal in meinem Leben tat ich, was ich wollte und nicht was andere von mir erwarteten.

Die Zeit mit ihm war intensiv; ich erlebte alles bewusster. Im Gegensatz zu dem allgegenwärtigen Gefühl, als würde mir die Zeit davonlaufen, genoss ich sie nun und ich lernte, was 10 Minuten alles bewirken könnten, kostete sie voll aus, genoss sie. David stellte mir seinen Freunden vor, nahm mich mit zu seinen Unternehmungen. Wir gingen stundenlang spazieren, redeten über alles und nichts, ließen die Seele baumeln und dachten an nichts.

Schon wenige Wochen nach unserer ersten Unterhaltung im Café küssten wir uns zum ersten Mal. Und von da an war ich das glücklichste Mädchen aller Zeiten. Ich hatte einen Freund! Und nicht irgendeinen, sondern einen älteren, lebenserfahrenen. Jedenfalls, redete ich mir das ein.

In einer sternenklaren kühlen Nacht, als wir in eine Decke eingewickelt auf seinem Balkon saßen, erzählte ich David unter Tränen, wie mein Leben bisher ausgesehen hatte, dass ich nie selbst hatte bestimmen dürfen wo lang es ging. Dass ich einem vorgefertigten Plan folgte, dass ich das Gefühl hatte an all den Pflichten zu ersticken. Er war verständnisvoll, strich mir lose Strähnen hinter die Ohren und wiegte mich hin und her. In dieser Nacht sagte ich ihm zum ersten Mal, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Er lächelte. Irgendwie sah sein Lächeln traurig aus, als wäre genau das eingetreten wovor er sich gefürchtet hatte. Ich wiederholte meine Worte, sah ihm fest in die Augen. War mir in meinem Leben noch wegen irgendwas so sicher gewesen. Er erwiderte es nicht.

Vielleicht hätte mir das zu denken geben sollen, doch das tat es nicht. Ich verdrängte es mit allem was mir zur Verfügung stand und ließ mich von ihm in sein Schlafzimmer führen, wo ich ihm nicht nur als ersten Mann mein Herz, sondern auch meinen Körper schenkte.

David hatte eine ganz besondere Art mit mir zu reden; freundlich und bestimmt. Er überredet mich zu Dingen, die ich schon immer machen wollte, mich aber bisher nie getraut hatte sie umzusetzen. Er machte mir jeden Tag Komplimente, achtete und respektierte mich als eigenständige Person.
Der Knoten platzte, als wir in einem Nachtclub waren und eng umschlungen auf der Tanzfläche tanzten.

Ich warf meinen Kopf hin und her, ließ meine Hüften kreisen, schloss die Augen, spürte, wie die Musik mir durch den Körper jagte. Als außergewöhnlich gute Tänzerin hatte ich mich nie gesehen, doch ich musste mich in einem vollbesetzten Club auch nicht schämen. Wir tanzten die gesamte Nacht, eingekeilt zwischen schwitzenden Körpern und unter sternenklarem Himmel, küssten uns, während die Meute um uns herum die Arme in die Luft warf und ein Lied nach dem Anderen mitschmetterte.

Als die Sonne sich bereits zaghaft durch die anbrechende Morgendämmerung ankündigte, fragte David mich flüsternd, was ich in einem Club schon immer mal machen wollte.

Wir saßen an einem abgewetzten Tisch im Hinterhof des Clubs. Ich überlegte kurz, während er mir die Füße massierte. „Auf einem Tisch tanzen.“, sagte ich lachend. Ich hatte diese Frage nicht ernst genommen, hatte mich sofort wieder meinem Gespräch mit seiner Cousine zugewandt, die mit uns hergekommen war und mit der ich mich von der ersten Sekunde an prächtig verstanden hatte.

Anders als ihr Cousin war Kati eine eindeutige Gewinnerin in ihrem Leben; sie hatte einen guten Job, seit vielen Jahren einen Lebenspartner, stöckelte in Bleistiftrock und Bluse durch die Gegend und nutzte solche sommerlichen Cluberlebnisse um ein Stück weit Paradies in ihr monotones erfolgreiches Leben zu holen. Damals, war ich noch davon ausgegangen, dass sich Glück nach einer Checkliste richtete; und Kati besaß all das was für mich auf solch einer Liste gestanden hätte.

Nachdem wir uns abgekühlt hatten, drängten wir uns wieder zurück in den Club. Es war der Höhepunkt der Nacht, so viele Menschen, dass man kaum noch vorwärts kam. Plötzlich spürte ich starke Hände an meiner Taille und plötzlich stand ich auf einem Tisch. Schockiert blickte ich nach unten und sah in Davids grinsendes Gesicht. Kati runzelte die Stirn. Ohne nachzudenken, ohne mich zu schämen begann ich mich zu bewegen, spürte die Musik, bewegte mich zaghaft und schüchtern.

Es dauerte nicht lange, bis ich vergaß, wo ich mich befand; ich schloss die Augen und versuchte den Beat zu erspüren. Wartete, bis er meinen Körper vibrieren ließ. Meine Bewegungen wurden immer mutiger, meine Hüftschwünge immer reizvoller. Ich tanzte einfach, vergaß alles und wollte dieses Erlebnis, diesen Sieg voll auskosten. Undeutlich hörte ich durch die ohrenbetäubende Musik die anderen Clubgänger johlen und pfeifen. Aufgrund der positiven Resonanz öffnete ich meine Augen und war erstaunt, als ich sah, dass sich alle Blicke auf mich richteten und mir grinsende Gesichter, erhobene Daumen und halbvolle Gläser zum Anstoßen entgegen gebracht wurden.

Auf einem Tisch neben mir kletterte gerade eine große Frau mit kurzen roten Haaren. Sie drehte sich um die eigene Achse und brüllte ausgelassen, dann begann auch sie zu tanzen. Auch ihre Darbietung wurde mit Applaus gewürdigt. Kurz darauf standen auf den verschiedenen Tischen überall Frauen, Frauen wie ich; die sich immer im Hintergrund hielten, aus Angst und Gewohnheit. Frauen, die einem vorgegebenem Muster folgten, niemals aus der Reihe tanzten und einmal in ihrem Leben im Mittelpunkt stehen wollten, eine Anekdote beim Abendessen sein wollten. Eine kleine Geschichte, die man sich noch Jahre später erzählte. Jedenfalls, stellte ich mir die Frauen so vor.

Meine Euphorie wurde etwas gedämpft, als ein junger Mann, der eindeutig sturzbetrunken war, zu mir auf den Tisch kletterte, seine Hände auf meine Hüften legte und begann mit mir zu tanzen. Ich sah darin kein Problem, drehte mich in seinen Armen um und wollte ihm gerade lachend mitteilen, dass er ein miserabler Tänzer war, als er versuchte mich zu küssen. Ich zog meinen Kopf zurück, lächelte und schrie durch den Lärm: „Lassen wir das mal!“

Er zog seinen Kopf zurück und schrie: „Schade! Schönen Abend dir noch!“ Dann nahm er seine Hände weg, lächelte mich noch einmal an und sprang dann taumelnd vom Tisch, um von seinen Kumpels begrüßt zu werden, die anscheinend gewettet hatten, ob er sich diesen Schritt traute. Das machte mir nichts aus. Seltsamerweise, war es mir sogar ziemlich egal. Er hatte sich vernünftig verhalten, hatte sofort aufgehört, als ich „Nein.“ gesagt hatte.

Doch, David sah das anders. Er hatte die ganze Szenerie von einem anderen Tisch aus, auf dem jetzt nicht mehr getanzt wurde, beobachtet. Als ich seinen Blick auffing registrierte ich erschrocken ein wütendes Funkeln darin. Und dann ging alles so schlimm, dass es im Nachhinein nur noch ein Strudel aus Geschrei und drängelnden Körpern ist. David preschte vor, direkt auf meinen Verehrer zu und schlug ihm ohne Vorwarnung ins Gesicht. Dieser sackte überrascht zu Boden und seine Kumpels stellten sich schützend vor ihn, schubsten David weg und brüllten unverständliche Dinge.

Ich beobachtete alles geschockt, nicht imstande dazu mich zu bewegen. David schlug zwei weiteren einfach ins Gesicht, bis der Dritte und letzte der Kumpel zurückschlug. Der Typ musste Kampfsport oder so machen, denn er blockte mit einer eleganten Leichtigkeit Davids Schläge ab und schickte ihn mit zwei gezielten Schlägen zu Boden.

Das riss mich aus meiner Schockstarre, ich hetzte zu David der mit blutender Nase auf dem Boden saß. Panisch ließ ich mich neben ihm auf die Knie fallen, zuckte erschrocken zurück, als ich merkte, dass er lachte. David warf den Kopf in den Nacken und lachte wie ein Wahnsinniger. „Finger weg von meiner Freundin!“, rief er lachend dem Typen zu, der mich angetanzt hatte und welcher gerade von einer Bardame einen Eisbeutel auf das Gesicht gelegt bekam.

Ich zog und zerrte an David, bis er stand, dann legte ich ihm einen Arm um die Taille und dirigierte ihn vorsichtig Richtung Ausgang. Die Türsteher waren schon mit einem wütendem Gesichtsausdruck in unsere Richtung unterwegs.

Der Typ, der David niedergeschlagen hatte, nahm kurz meine Hand, sah mir in die Augen, kam ganz nah mit seinem Gesicht an mein Ohr und schrie durch die immer noch bebende Musik: „Verlass’ ihn!“ Das war zu viel für David; er stürzte sich mit einem animalischen Schrei auf den Typen.

Die Türsteher stürzten sich ins Getümmel, rangen David zu Boden und schleiften ihn, innerhalb von Sekunden, Richtung Ausgang. Kurz suchte ich nach Kati, musste die Suche aber aufgeben, als auch ich zum Ausgang dirigiert wurde. Um einiges sanfter, aber erniedrigend war es dennoch.

Die Sonne kämpfte sich bereits einen Weg über die Stadt, als wir vor dem Club standen. David saß auf dem Bürgersteig und rauchte eine Zigarette, als wäre absolut nichts passiert. Ich setzte mich vorsichtig zu ihm und wartete. Mehrere Minuten lang sagte er nichts, dann fuhr sein Kopf plötzlich zu mir herum. „So geht das nicht. Du bist meine Freundin und nur ich darf dich anfassen.“ sagte er in einem nüchternen Tonfall, als würde er mir das kleine Einmaleins erklären. Ich war zu geschockt, um sofort zu antworten und sah ihn einfach nur überrumpelt an.

„Nein, so war das nicht …“ setzte ich kopfschüttelnd an. „Ich habe doch genau gesehen wie du ihn angelacht hast.“ Die Worte blieben mir im Hals stecken. Wie war es passiert, dass ich auf einmal die Böse in der Geschichte war? Ich hatte doch nichts getan! Automatisch fragte ich mich, ob das in einer Beziehung nun mal so war; dass ich nicht mal ansatzweise mit anderen Männern reden durfte.

Sofort rügte ich mich für diesen Gedanken. Verdammt, ich war nicht sein Besitz! Ich konnte tun und lassen was ich wollte, er hatte mir nichts vorzuschreiben.

Mit neuem Mut drehte ich meinen Kopf wieder in seine Richtung und erschrak; sein Blick war eiskalt. Absolut kalt und leer, als würde ihm alles egal sein. Als gäbe es nichts auf dieser Welt was ihm etwas bedeuten würde. In diesem Moment kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass auch ich ihm nichts bedeutete, jedenfalls nicht annähernd so viel wie er mir bedeutete. Und deswegen knickte ich ein, gab nach, degradierte mich selbst, indem ich mich entschuldigte, ihm Recht gab, versprach sowas nie wieder zu tun. Ich wollte ihn nicht verlieren, hatte zu große Angst davor, dass er erkennen würde, dass ich nur ein Mauerblümchen war und er eine Nummer zu groß für meine Kleinmädchenfantasien.

David beobachtete mich emotionslos, während ich meine demütigende Entschuldigung zusammen stammelte. Irgendwann fing ich auch an zu weinen, doch er berührte mich nicht, tröstete mich nicht. Ließ mich in meinen Entschuldigungen ertrinken, als hätte ich es verdient. Als hätte ich den Fehler gemacht. Noch heute frage ich mich, wie ich so tief sinken konnte.

Ich weinte immer heftiger, aus Angst, dass er mich verlassen würde. Ich wollte nicht alleine sein, wollte nicht in mein ereignisloses Leben zurück. Ich brauchte ihn. Oh Gott, ich liebte ihn.
Und das sagte ich ihm auch, sah ihm in die Augen und schwor ihm meine grenzenlose Liebe. Seine Mundwinkel zuckten, dann nahm er mein Gesicht in seine Hände und küsste mich grob. „Du gehörst mir.“, sagte er bestimmt.

Ich konnte den Kuss nicht erwidern, dafür krallte er seine Finger zu fest in meine Haut. Doch ich nickte so gut ich konnte und flüsterte: „Dir. Nur dir.“

An diesem Abend veränderte sich Davids Verhalten; anstatt der aufmerksame Gentleman, war er plötzlich ein eifersüchtiges Energiebündel, welches jede meiner Bewegungen komplett falsch interpretierte.

Nach dieser Nacht mied ich außerdem jeglichen Kontakt zu männlichen Personen.
Natürlich, ist mir klar wie absolut irrational und dämlich diese Entscheidung war. Heute ist mir das klar, doch damals wollte ich so verzweifelt von David geliebt und geachtet werden, dass mir einfach nicht klar war, wie falsch sein Verhalten war. Er verhielt sich, als wäre ich sein Besitz, behandelte mich wie einen Gegenstand. Wurde rasend schnell eifersüchtig, sobald ich im Café einen männlichen Kunden hatte, unterstellte mir jegliches Interesse an meinen Mitmenschen, redete mir regelmäßig ein schlechtes Gewissen ein, sodass ich am Ende des Tages regelmäßig weinte. Ihn um Verzeihung anflehte.

Er forderte sexuelle Gefälligkeiten ein, nahm sich zwar niemals gewalttätig was er wollte, doch erpresste mich emotional. Einmal, hatte er solange auf mich eingeredet und mich beleidigt, bis ich weinend vor ihm hockte und ihm die Befriedigung gab, die er verlangte. Sam bemerkte nicht, dass er mich schlecht behandelte. Für ihn war das alles ganz normal; genau so hatte eine Beziehung zu laufen. Ich wurde mit jedem Tag unglücklicher, wurde dünner, launischer, bis ich nur noch ein Schatten meiner Selbst war.

David erklärte mir, dass es mir egal sein sollte was andere von mir denken. Dass ich mich kleiden sollte wie ich es wollte, ungeachtet der Tatsache ob anderen es gefallen könnte. Ich glaubte ihm, entwickelte mich in eine andere Richtung, begann etwas mehr Haut zu zeigen. Früher hatte ich Jeans und weite Shirts getragen, nun begann ich kurze Sommerkleider und Shorts zu tragen.
Obwohl David mich ermunterte meinen Körper zu zeigen, mich nicht unter Stoff zu verstecken, wurde er wütend wenn ich kurze Klamotten trug. Er war der Meinung, dass das eine Einladung für jeden Kerl war mich anzufassen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich da im Normalfall ja wohl ein Wörtchen mitzureden hatte, doch damals tat er meine Erklärungen mit einem wütendem Grunzen ab.

Zum Ende des Sommers hatte ich mich so sehr in der Beziehung zu David verlaufen dass ich aus nichts anderem mehr existierte, als dem sehnlichen Wunsch ihn zufriedenzustellen. Ich wollte seine Liebe, die er mir immer noch nicht gestanden hatte.

Ich ließ mir einen Bauchnabelpiercing stechen, weil David Frauen mit diesem Körperschmuck als erotisch empfand. Ich ließ mir seine Initialen auf das linke Handgelenk tätowieren, auf seinen Wunsch hin. Als ich ihn freudestrahlend fragte, ob er denn auch meine Initialen an seinem Körper verewigen würde, da lachte er nur.

Und dennoch wurde mir nicht bewusst, wie falsch das alles war. Ich war ein Auto mit defekten Bremsen, welches in Höchstgeschwindigkeit auf einen Abgrund zusteuerte und dabei mit einem Auge lachte und mit einem Auge weinte, in der Annahme dass das alles vollkommen normal war. Dass es normal war sich selbst so sehr zu verraten, nur um an einer Beziehung festzuhalten die auf Einseitigkeit beruhte.  


2 || 3 || 4 || 5

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen