Mittwoch, 9. August 2017

| Eigenes | Kamikaze III

Or watch this love explode like we’re kamikaze


Das Ereignis zog nicht ohne Konsequenzen an uns vorbei. David hatte bemerkt, dass ich mir eben nicht alles gefallen ließ. Obwohl ich genau das tat. Dumm wie ich gewesen war, war ich bei ihm geblieben. Hatte ihn dazu ermutigt, dass er so gut wie alles mit mir anstellen konnte und ich es ihm dennoch verzieh.
Ich war genau zu der Art Frau geworden, die ich früher verabscheut hatte, über die ich nur gelacht hatte, die ich als schwach abgestempelt hatte. Es war nicht mal so sehr die Liebe, die mich bei David hielt; es war einfach alles.

Er hatte dafür gesorgt, mit meiner tatkräftigen und naiven Unterstützung, dass ich im Leben nichts anderes mehr als ihn hatte. Ich hatte ihn nicht in mein bestehendes Leben eingegliedert, sondern mein Leben um ihn herum aufgebaut; mit ihm als absoluten Dreh – und Angelpunkt.

Dennoch, gab es immer öfter Momente, in denen ich mich fragte was ich da eigentlich machte, wieso ich mir das gefallen ließ. Wenn er mich mal wieder als blöd bezeichnete, nur weil ich ihm eine Frage stellte. Er nannte mich nutzlos, wenn ihm mein Essen nicht schmeckte. Einmal beschimpfte er mich zehn Minuten lang als Hure, weil ich mich dazu erdreistet hatte in Shorts durch die Wohnung zu laufen, als ein Kumpel zu Besuch gewesen war.

Was ich zuvor für unmöglich gehalten hatte, war nun eingetroffen: Robert hatte sich komplett von seinem besten Freund distanziert, woran David mir die Schuld gab. Dass er es war, der diese Aktion durchgeführt hatte zog er nicht mal in Erwägung.

Mit jedem Tag, der verging wurde es unerträglicher. Ich weinte viel, schloss mich im Schlafzimmer ein, sobald David anfing mich zu beleidigen und mir meine Fehler in jeder Einzelheit unter die Nase zu reiben. Mehr als einmal überlegte ich, ob ich einfach meine Tante anrufen sollte, die mich aus diesem Alptraum befreien würde. Wieso ich es nicht tat, konnte ich mir selbst nicht erklären.

Doch, es gab auch Tage, an denen David wie ausgewechselt war; an diesen Tagen weckte er mich mit sanften Küssen, brachte mir Frühstück ans Bett. Er widmete mir an diesen Tagen seine gesamte Aufmerksamkeit, war ein richtiger Gentleman, sanft und höflich. Ich genoss diese unerwarteten Tage, obwohl sie mir Angst einjagten. Immer häufiger kam mir der schleichende Verdacht, dass David vielleicht an einer ernstzunehmenden psychischen Krankheit litt und ich das Opfer seiner Symptome war.

Also, begann ich heimlich ein bisschen zu recherchieren, war jedoch schnell mit all diesen Krankheiten, Ursachen und Symptomen überfordert. Ich hatte mit psychischen Krankheiten nie etwas zu tun gehabt, weshalb es mir so schwer fiel zu glauben, dass das wirklich die Erklärung für Davids extreme Stimmungsumschwünge war.

Wenn man niemals etwas mit der Psyche zu tun hatte und sich auch sonst nicht sonderlich dafür interessiert, ist es fast unmöglich zu verstehen wie mächtig die eigenen Gedanken und das Unterbewusstsein sein können. Es gibt Berichte von Menschen, die ganze Krankheiten allein aufgrund ihrer Lebens – und Denkweise besiegt oder zumindest eingedämmt haben. Am meisten beeindruckte mich ein Bericht über eine Frau, die mit Mitte zwanzig die Diagnose Leukämie bekam. Ihre Krankheit war so weit fortgeschritten gewesen, dass die Ärzte ihr keinerlei Hoffnung auf Heilung gaben. Sie sagten ihr, sie hätte noch drei Monate zu leben. Doch, diese junge Frau, weigerte sich in diesem Alter schon das zeitliche zu segnen. Aufgrund ihrer Lebensweise; viel Sport, gesunde Ernährung, keinerlei Stress, lange Spaziergänge, frische Luft, Massagen und Akupunktur und der richtigen Einstellung trotzte sie den Prognosen der Ärzte. Noch heute lebt sie. Sie existiert nicht nur und kämpft sich von Behandlung zu Behandlung; sie lebt – fährt in den Urlaub, geht arbeiten, genießt das Leben in vollen Zügen.*

Natürlich stellte ich diese Nachforschungen heimlich an. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie David reagieren würde, sollte er mitbekommen dass ich ihn für psychisch instabil hielt. Er würde mich auf die Straße setzen, ohne auch nur eine einzige Sekunde mit sich reden zu lassen; dessen war ich mir sicher.

Was genau ich damit bewirken wollte war mir selbst nicht klar. Es war ja nicht so, dass ich Hilfe von anderen erwarten konnte. Alle Menschen die sich nach und nach von David abgewandt hatten, hatten mir im Gehen noch geraten ihn zu verlassen und so schnell und so weit wie möglich wegzulaufen.

An einem kalten Winterabend, als ich von einem Besuch auf einem Weihnachtsmarkt wiederkam, saß David mit einem Typen auf der Couch, der sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf schrillen ließ. Er war groß und unheimlich dürre, mit einem eingefallenem Gesicht, einem stumpfen Blick, unreiner Haut und schulterlangen fettigen Haaren. Als er mich angrinste, entblößte er eine reihe weißer gerader Zähne, die überhaupt nicht zu seinem restlichen Erscheinungsbild passten.

Ich wandte meinen Blick ab, fühlte mich jedoch sofort schlecht. Solange hatte ich gegen meine Erziehung gekämpft, um Menschen nicht nach ihrem Äußerlichen zu beurteilen und hier stand ich nun und weigerte mich diesen Mann anzusehen. Vielleicht war er ja der liebste und netteste Mensch aller Zeiten? Allerdings, sagte mein Instinkt mir, dass ich mich von diesem Menschen fernhalten sollte.
Die Toilettenspülung schallte durch die Wohnung und eine junge Frau, etwa in meinem Alter, kam ins Wohnzimmer. Sie war so ziemlich die schönste Frau die ich jemals gesehen hatte; lange blonde Haare, große blaue Augen, eine so reine und ebene Haut, dass ich mich fragte wie sie das hinkriegte, und ein schlanker Körper mit Rundungen an den richtigen Stellen.

Sie streckte mir eine manikürte Hand entgegen und lächelte mich mit einem so freundlichen Lächeln an, dass ich automatisch zurücklächeln musste.

„Hallo, ich bin Caro.“ stellte sie sich mir vor. Bevor ich mich vernünftig vorstellen konnte, sagte David, gerade als ich Caros Hand schüttelte: „Maia, mach unseren Gästen was zu trinken. Und diesmal mit ein bisschen Tempo.“

Ich schloss kurz die Augen. Wieso musste er mich so demütigen vor seinen neuen Freunden? Caro hatte es bemerkt, sie sah wie ich kurz die Augen schloss, ergriff meine Hand fester und zog mich in die Küche.

„Dein Freund ist ein Arschloch.“ stellte sie fest. Es war eine nüchterne Aussage, nicht mehr und nicht weniger.

Ich zuckte mit den Schultern und angelte nach zwei Gläsern im Schrank. Ich mochte Caro sofort, sie hatte eine ehrliche und direkte Art, ihre bloße Anwesenheit war inspirierend. Die Art und Weise wie sie sich bewegte, wie sich sprach; all das animierte mich dazu über mich selbst hinauszuwachsen.
„Ist der Typ im Wohnzimmer dein Freund?“, fragte ich interessiert, während ich Wasser in die Gläser goss.

Caro schüttelte den Kopf. „Bruder. Seit Jahren drogenabhängig, ich versuche ihn davon wegzubekommen. Schonmal was von einem warmen Entzug gehört?“

Ich nickte unsicher mit dem Kopf, war jedoch mit den Gedanken woanders. Natürlich. Es schockierte mich überhaupt nicht, dass David anscheinend ihr Drogendealer war. Die Tatsache, dass mich das überhaupt nicht schockierte oder auch nur überraschte trieb mir die Tränen in die Augen.

Wieso war mir das bisher nie aufgefallen? Seine Heimlichtuerei, seine scheinbar unerschöpflichen Geldquellen – obwohl er niemals die Wohnung zur Arbeit verließ … Gott, was war ich doch dumm und blind.

In diesem Moment war ich richtiggehend angeekelt von mir selbst. Plötzlich, nahm Caro meine Hand in ihre und suchte meinen Blick.

„Ich kenne David gezwungenermaßen schon seit einiger Zeit. Er ist kein guter Mensch. Was willst du mit ihm?“ Sie stellte diese Frage so ernst und so dringlich, dass ich sofort das Gefühl hatte hier eine Verbündete vor mir stehen zu haben.

„Ich liebe ihn.“, sagte ich mit fester Stimme, doch Caro ließ sich davon nicht täuschen. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte: „Nein, das tust du nicht. Vielleicht hast du das mal, aber jetzt hast du einfach nur Angst.“

Ich war verunsichert, dass eine Fremde mich so leicht hatte durchschauen können. Es setzte mir mehr zu als ich mir selbst eingestehen wollte, dass ich scheinbar niemanden täuschen konnte. Einschließlich mich selbst.

„Ich werde es wahrscheinlich bereuen.“, murmelte Caro zu sich selbst, dann fragte sie nach meinem Handy. Während ich die Gläser ins Wohnzimmer trug, speicherte sie ihre Nummer in meinen Kontakten ein. Als ich David sein Glas reichte, lächelte ich ihn an und bekam absolut gar nichts. Kein Lächeln, kein Dank, kein Kuss. Er scheuchte mich mit der Hand weg wie eine aufdringliche Fliege.

Kurz überlegte ich ob ich etwas sagen sollte, wusste jedoch nicht was. Ich hatte Angst davor David wütend zu machen, Angst davor dass er wieder so ausrastete wie diesen einen Tag als er mich mitten im Nirgendwo ausgesetzt hatte.

Natürlich, wusste ich wie falsch das alles war. Dass ich Angst vor den Reaktionen meines Freundes hatte, das war genau das was ich mir in meinem Leben niemals vorgestellt hatte. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, eine gescheiterte Beziehung nach der anderen zu führen, eine harmonische langjährige, sogar, dass ich niemals einen passenden Mann finden würde, war mir in den Sinn gekommen. Doch, dass ich Angst davor haben würde mit meinem Partner zu sprechen, über was auch immer, das war definitiv niemals Bestandteil meiner Fantasien gewesen.

Während die beiden Männer was auch immer machten, setzten Caro und ich uns auf den Balkon, obwohl es eiskalt war. Wir wickelten uns in Decken ein, tranken heiße Schokolade und unterhielten uns über alles mögliche. Schnell bemerkten wir dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten, wir verstanden uns super, vom ersten Moment an. Caro hatte eine bestimmte Art mit mir zu reden. Als ich ihr erzählte, dass ich schon immer mal mit dem Auto ins Blaue fahren wollte und einfach gucken wollte, wo ich ankam, da fragte sie mich sanft was mich abhielt. Sie nahm meine Worte ernst, überlegte und erklärte mir dann vollkommen logisch weshalb das alles möglich war.

Wir sprachen über unsere Kindheit, Schulzeit, Freunde, Erlebnisse und Abenteuer. Ich erfuhr dass Caro aus ähnlichen Verhältnissen wie ich stammte: ihre Eltern hatten alles aus ihr herausholen wollen, hatten sie auf die besten Schulen geschickt, viel von ihr verlangt. Ihr Bruder Jonas, war unter dem Druck zusammengebrochen und hatte sich schon mit fünfzehn den Drogen zugewandt. Caro hatte auch ihre Probleme gehabt, hatte jedoch relativ früh ihre Möglichkeiten erkannt, hatte sich mit ihren Eltern hingesetzt, ihnen erklärt, dass sie dankbar für die Chancen war, aber dass die Eltern ihr vertrauen mussten, dass sie sich genug anstrengte, um ihren Weg zu gehen.

Nun studierte sie Wirtschaftsrecht im dritten Semester und verstand sich blendend mit ihren
Eltern, die grenzenlos stolz auf ihr Kind waren. Selbst Jonas erkannte langsam, dass seine Eltern nicht die Monster waren, die er glaubte zu kennen.
Als ich ihr meine Geschichte erzählte, lächelte sie wissend und sagte: „Ruf deine Eltern an.“ Ich sah sie geschockt an. Hatte sie mir denn nicht zugehört? „Sie wollen nicht mit mir reden.“, sagte ich.
Sie trank einen Schluck aus ihrer Tasse. „Und das weißt du woher?“

Ich öffnete den Mund, schloss ihn jedoch sofort wieder. Wieso war ich mir so sicher, dass meine Eltern nicht das geringste Bedürfnis hatten mit ihrem Kind zu sprechen? Ich überlegte, während Caro mich aufmerksam musterte. In meinem Kopf formte sich eine Erklärung.
„Sie sind mit David nicht einverstanden.“, sagte ich schließlich als wäre damit alles geklärt.

„Und das ist so furchtbar falsch, weil …?“ Caro ließ mich nicht aus den Augen. Ihr Blick hatte etwas Analysierendes, was mir wahnsinnig unangenehm war. Ich wand mich unter ihrem Blick, wollte nicht über mich und schon gar nicht über meine Beziehung sprechen. Denn, wenn jemand auch nur ein bisschen an der Oberfläche kratzte, dann würde diese Person Baustellen und Wunden freilegen, die ich nicht sehen wollte. Nicht fühlen wollte. Die irreparabel waren. Das war mir klar, unterbewusst war mir schon in diesem Moment klar dass ich auf verlorenem Posten kämpfte.
„Ruf deine Eltern an.“ wiederholte sie. Ich sah sie an, sah ihr in die Augen und in diesem Moment wusste ich, dass ich in Caro eine Person gefunden hatte, die mir immer wieder aufhelfen würde, die mir immer zur Rettung eilen würde. Ich war fest entschlossen diese aufkeimende Freundschaft zu pflegen und zu schätzen.

Nachdem wir noch ein bisschen über Belanglosigkeiten gesprochen hatten, erschien Jonas auf dem Balkon und bat seine Schwester zu gehen. Caro umarmte mich zum Abschied und flüsterte mir „Ruf mich an.“ ins Ohr. Ich blieb noch einige Minuten auf dem Balkon sitzen, genoss die winterliche Ruhe, den kalten Wind und versuchte meine Gedanken zu ordnen, bis David mir einen Strich durch die Rechnung machte.„Maia, verdammt, komm endlich rein und mach was Sinnvolles!“ brüllte er quer durch die Wohnung.

Ich ignorierte ihn, trank in aller Ruhe meine Schokolade und legte den Kopf in den Nacken um die Sterne zu bewundern. „Bist du taub oder einfach nur bescheuert?“, fragte David plötzlich.
Er stand neben mir auf dem Balkon und legte seine Hand auf meine Schulter, drückte zu. Immer fester und fester, bis ich aufschrie. „David, das tut weh!“, schrie ich.

„Gut.“, sagte er nur. Das war alles was er dazu zu sagen hatte. „Ich möchte gerne hier draußen sitzen und die Ruhe genießen.“ erklärte ich ihm, sah ihm dabei in die Augen. Wir sahen uns einige Augenblicke an und ich versuchte vorauszusehen wie seine Reaktion ausfallen würde, versuchte abzuschätzen wie sehr es ihm gegen den Strich ging, dass ich mir eine Stunde nur für mich nahm, um die Stille um mich herum zu genießen. Ob er damit klarkam, dass ich nachdenken wollte.

Natürlich, war mir noch nicht bewusst gewesen, dass David immer verhinderte dass ich zur Ruhe kam und nachdachte über mich und unsere Situation. Er vereitelte jegliche Versuche meinerseits mir über einige Dinge klar zu werden. Auch, wenn er gerne lautstark das Gegenteil behauptete wusste er, dass ich nicht dumm war. Dass ich, sobald ich ein bisschen zur Ruhe gekommen war, noch deutlicher sehen würde wie schlecht er mich behandelte und wie wenig ich es verdiente. Er wusste, dass ich gehen würde, sobald ich nachgedacht hatte. Und mit Caro, einer unabhängigen Person, die mir alle Fehler unserer Beziehung vor Augen hielt und sich weigerte mir dabei zu helfen mich vor der Wahrheit zu verschließen, war eine Person in mein Leben getreten, die mir diese Chance, diese eine Chance, endlich zu gehen, auf dem Silbertablett servierte. Das wusste David.

„Na gut.“, sagte er. Ich war überrascht. Ich hatte mit allem gerechnet; Beleidigungen, Geschrei, grobem Zerren und mentaler Erpressung. Und diese Erwartungen sagten eigentlich schon alles über unsere Beziehung aus, was ich wissen musste. Doch damit dass er so ruhig nachgeben würde, hatte ich nicht gerechnet.

„Danke.“, flüsterte ich lächelnd. David drehte sich um, ging in die Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu. Er schloss die Balkontür von innen ab. Als ich ihn fassungslos anstarrte, grinste er nur, dann ließ er die Jalousie herunter. Ich war viel zu geschockt, um sofort zu reagieren, konnte nicht verarbeiten was er gerade getan hatte. Erst nach einigen Minuten sprang ich auf und hämmerte gegen die Glasscheibe, doch entweder konnte David mich nicht hören oder es interessierte ihn nicht.

Glücklicherweise hatte ich mein Handy mit raus genommen. Ich wusste dass es nichts bringen würde David anzurufen, das würde ihn nur noch wütender machen. Verzweifelt überlegte ich wen ich anrufen sollte und brach in Tränen aus, als ich realisierte dass ich keine Freunde hatte. Ich hatte sie alle vor der Kopf gestoßen, ignoriert und versetzt seit ich mit David zusammen war. Wieder einmal wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich mein gesamtes Leben um ihn herum aufgebaut hatte.

Nach kurzem Zögern rief ich die einzige Nummer an, die mir einfiel. Meine Tante ging nach dem ersten Klingeln ran. „Vanessa?“, fragte ich leise. Sie hörte es an meiner Stimme – leise und ängstlich, ein Flüstern voller Verzweiflung.

Vanessa stellte keine Fragen, wollte keine Erklärungen, sie wollte nur wissen, wo ich war und versprach so schnell wie möglich zu kommen. Während ich in der Kälte wartete und ein kleiner Teil von mir noch immer hoffte, dass David zur Besinnung kommen würde weinte ich. Das war nur die neueste Aktion in seinem Repertoire. Wenn ich mich nicht endlich durchsetzte, dann würde er mich immer schlechter und schlechter behandeln und vielleicht würde ihm komplette Kontrolle eines Tages nicht mehr reichen. Vielleicht, würde er eines Tages tatsächlich die Hand gegen mich erheben.

Erst in diesem Moment, als ich frierend auf diesem Balkon hockte und auf meine Rettung wartete, wurde mir endgültig klar, dass ich mitten in einer toxischen Beziehung steckte. Diese Erkenntnis traf mich viel härter, als ich mir eingestehen wollte.

Ich, das Mädchen dass seit frühster Kindheit für ihre hohe Intelligenz und ihre überdurchschnittliche Reife gelobt worden war, steckte in einer gewalttätigen Beziehung. David hatte mich vielleicht nie geschlagen, doch Schläge sind auch nicht das einzige was Wunden hinterlassen können. Er hatte mein Selbstbewusstsein, mein Vertrauen und meinen Lebenswillen Stück für Stück zerstört und wieder einmal fragte ich mich, ob er es vielleicht aus purer Absicht getan hatte. Dass er eventuell an einer psychischen Störung litt war plötzlich keine Entschuldigung mehr. Egal, wie krank man ist, man muss Verantwortung für seine Taten übernehmen. Keine Krankheit der Welt gibt einem das Recht die Menschen in seiner Umgebung schlecht zu behandeln.
Nach gefühlten Stunden hörte ich schließlich laute Stimmen aus der Wohnung. Eine männliche und eine weibliche Stimme. Sie schrien sich an. Der Mann lachte, die Frau schrie. Etwas klirrte und dann wurde die Balkontür aufgerissen und meine Tante stand vor mir. Mit Tränen in den Augen und zitternden Händen.„Maia, komm. Wir gehen nach Hause.“ sagte sie nur und streckte die Hände nach mir aus. Ich nahm sie und folgte ihr durch die kleine Wohnung.

David saß seelenruhig auf der Couch, trank ein Bier und sah mich an. „Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht wiederzukommen.“

„Ich will gar nicht wiederkommen.“, sagte ich mit fester Stimme. Als ich ihm gegenüber stand, durchgefroren und verheult, verabscheute ich diesen Mann. Alles an ihm widerte mich einfach nur an und ich wandte schnell den Blick ab, um nicht doch noch etwas zu erkennen, was mir gefiel, was mich anzog, was mich dumm machte.

„Morgen Mittag holen wir ihre Sachen ab. Du wirst sie alle brav zusammenpacken und uns nicht im Weg stehen, verstanden?“ sagte Vanessa mit ruhiger Stimme. Sie wartete keine Reaktion ab, nahm einfach nur meine Hand und führte mich aus der Wohnung.

Den gesamten Weg bis zu ihr nach Hause blieb ich still, behielt die Kontrolle. Erst, als wir bei Vanessa in der Wohnung saßen und sie mir liebevoll über die Haare strich während ich einen Tee trank, den sie mir gemacht hatte brach ich zusammen.

Ich lehnte den Kopf gegen ihre Schulter und weinte. Weinte wegen der Ereignisse des Abends, der vergangenen Monate. Ich weinte um mich selbst, meine verlorene Zeit und diesen einen Teil von mir der, dank David, nie wieder derselbe sein würde.

Vanessa saß einfach nur da, strich mir Haarsträhnen aus dem Gesicht und flüsterte mir beruhigende Worte zu. Als mein weinen weniger wurde und ich einfach nur apathisch durch die Gegend starrte, begann Vanessa zu erzählen. Sie malte mit Wörtern mein zukünftiges Leben; wie es sein könnte, was ich alles erleben könnte, was ich tun könnte und dass sie mich immer unterstützen würde. In diesem Moment fasste ich den Entschluss mich nie wieder so schlecht behandeln zu lassen, mich nie wieder selbst so schlecht zu behandeln.



*Ich habe zwar keinen Bericht über diese Frau gelesen, aber wahr ist die Geschichte dennoch. Die Tante meiner Chefin ist genau das passiert. Ich kenne die Dame, habe sie vor zwei Jahren an der Ostsee kennengelernt, eine wirklich beeindruckende Frau, die sich noch heute – 12 Jahre nach der Diagnose - sehr guter Gesundheit erfreut. 


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