Samstag, 23. September 2017

| Eigenes | Kamikaze V

Found a new beginning to a bitter end.

Die ersten Wochen waren hart gewesen. Dabei war es gar nicht so sehr David gewesen den ich vermisste. Es war der Gedanke, dass da jemand war dem ich etwas bedeutete. Der mich liebte.
Was im Endeffekt nichts weiter als pure Ironie war; denn David hatte mir nie das Gefühl gegeben geliebt zu werden. Um etwas Ablenkung zu bekommen, übernahm ich endlose Schichten in Vanessas Café, half ihr im Haushalt, machte ihre Erledigungen, besorgte ihre Einkäufe.

Ich wusste, dass Vanessa sich Sorgen um mich machte und mehr als einmal, sagte sie mir, dass ich zu viel arbeitete, mir zu viele Aufgaben auflud. Doch, ich brauchte die Arbeit, die Hektik, den Trubel. Denn sonst, hätte ich über Davids Worte nachgedacht. Egal, wie sehr ich es vergessen wollte, Unrecht hatte er nicht gehabt. Ich stellte mir wirklich die Frage, warum ich es so lange bei ihm ausgehalten hatte. Was stimmte denn nicht mit mir, dass ich mich so behandeln ließ?

Auch mit meinen Eltern trat ich wieder in Kontakt; entgegen meiner Erwartungen schrien sie mich nicht an, sie erwähnten David oder mein Verhalten nicht mal. Vor allem meine Mutter, war einfach nur grenzenlos froh, dass ich überhaupt angerufen hatte. Wir telefonierten die gesamte Nacht und auch meinerseits flossen einige Tränen, als ich dann von mir aus den Grund unseres Kontaktabbruches ansprach.

Obwohl ich mich so in die Arbeit flüchtete, weinte ich, wenn ich einen Moment innehielt und alles auf mich wirken ließ viel. Es war, als ob David eine Lawine in mir ausgelöst hatte. Ich weinte nicht mal wirklich wegen der Ereignisse und Erlebnisse mit ihm; sondern wegen all der falschen Entscheidungen die ich im Zusammenhang damit beschlossen hatte.

Zu Caro hielt ich den Kontakt; wir telefonierten viel. Sie war mitten im Prüfungsstress, doch fand immer mal wieder eine oder zwei Stunden um nach Feierabend ins Café zu kommen und mit mir und Vanessa einen Kaffee oder einen Cocktail zu trinken. Als es draußen langsam wärmer wurde und der Schnee schmolz, war Caro meine beste Freundin, engste Vertraute und mein mentales Vorbild geworden.

Unsere gesamte Freundschaft gründete auf Gesprächen. Wir redeten immer, über alles und jeden, sorgten dafür das der jeweils andere immer alles genau verstand und niemals ein Missverständnis auftrat.

Nach einigen Wochen, ich räumte gerade einen Tisch ab, legte Vanessa mir die Hand auf die Schulter und fragte mich ernst, ob wir zum Feierabend reden könnten. Durch ihren Gesichtsausdruck, der so ernst und verschlossen wirkte, bekam ich es mit der Angst zu tun.

Für mich gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder war irgendwas passiert oder sie wollte mich rausschmeißen. Doch, sie wollte nur wissen ab wann ich meine Zukunftsplanung in Angriff nehmen würde. Als ich mit David zusammen gewesen war, hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet überhaupt irgendwas für meine Zukunft zu tun. Ich hatte im Moment gelebt und realisierte erst jetzt, wie absolut ungesund das werden konnte.

Sicher, war ich dafür, dass man sich mal freinahm, die Sau rausließ und das tat, was man wollte; ob es nun eine Party, eine Reise oder ein Konzertbesuch war. Aber, man musste auch realistisch sein; man brauchte eine Einkommensquelle. Eine Konstante im Leben. Jedenfalls, brauchte ich es.
„Ich weiß ja nicht mal was ich eigentlich machen will.“ war meine einzige Antwort auf ihre hartnäckige Fragerei. Diese Unentschlossenheit nahm Vanessa als Anlass, mich zu sämtlichen Berufsberatungen und Jobmessen zu schleppen. Sie redete mir jeden Job schön, zählte Vorteile auf, als müsse sie ein Produkt verkaufen.

Schließlich bewarb ich mich um eine Ausbildungsstelle als Event-Managerin und bekam auch eine Zusage. Bevor ich diesen Job im Herbst antrat, fuhr ich im Sommer zu meinen Eltern.

Es war seltsam und wunderschön; so anders als der Sommer der hinter mir lag. Viele meiner alten Schulfreunde kamen ebenfalls für einige Tage oder Wochen in ihre Heimatstadt und wir ließen unsere Verbindungen wieder aufleben; gingen ins Kino, essen, auf Partys, verbrachten ruhige Abende in Gärten und träge Nachmittage auf Parkbänken.

Auch mit meinen Eltern unternahm ich viel und als Caro mich am Ende des Sommers für eine Woche besuchte hatte ich schon eine verdammt tolle Zeit hinter mir. Und das erzählte ich ihr auch; dass ich dieses ruhige Leben genoss.

Sie hörte mir lächelnd zu und als ich lachend von einem Abend erzählte, an dem ich mit einigen Schulfreunden die ganze Nacht unter dem Sternenhimmel gesessen hatte, hatte sie Tränen in den Augen.

„Was ist los?“, fragte ich alarmiert.
„Du bist glücklich.“, sagte sie nur. Und es stimmte; es gab immer noch Momente, in denen ich an mir zweifelte. David hatte etwas ganz fundamentales in mir zerstört; zu Kleinholz verarbeitet, was ich mühevoll wieder aufbaute, doch Momente wie diese, die hatte er mir nicht genommen.

Diese kleinen Momente, in denen ich im völligen Einklang mit mir selbst und meiner Umgebung war; das hatte er nicht zerstören können. Einmal mehr, fragte ich mich ob David mir nicht vielleicht auch etwas beigebracht hatte. Er hatte den schmerzhaften, unmenschlichen Weg genommen, doch ich hatte durch meine Zeit mit ihm gelernt, mehr auf mich zu achten und mich nicht unter Wert zu verkaufen.

Meine Eltern waren begeistert von Caro; lobten sie, verehrten sie. Mein Vater nahm mich eines morgens zur Seite; meine Mutter und Caro standen in der Küche und schwiegen gemeinsam über dem ersten Kaffee des Tages.

„Maia, ich mag diese Caro. Sie ist genau die Art von Mensch, die du jetzt in deinem Leben brauchst.“ Ich war überrascht, bisher hatten meine Eltern sich nie so positiv über meine Freunde geäußert. Sie hatten immer nur ihre Bedenken geäußert, sonst weitestgehend geschwiegen. Dass mein Vater mir sagte, dass Caro ein guter Umgang für mich war bewirkte, dass ich ihre Freundschaft nur noch mehr zu schätzen wusste.

„Sie hat mir wirklich geholfen in den letzten Monaten.“ erklärte ich ihm.
Und dann tat mein Vater etwas, was er nicht mehr getan hatte seit ich ein kleines Kind gewesen war. Er nahm mich in den Arm.
„Ich bin stolz auf dich.“, flüsterte er mir ins Ohr, bevor er sich von mir löste und wieder in die Küche ging.

Als wir beim Frühstück saßen, fragten meine Eltern mich, wie es weiter gehen sollte. Der Sommer war fast vorbei und ich wusste, dass ich in einigen Tagen aus meiner Seifenblase des Glückes und der Ruhe ausbrechen musste; bisher hatte ich meinen Eltern nichts über meine Pläne erzählt.

Caro sah mich ermutigend an. Ein Schluck Kaffee zur Stärkung, um Zeit zu schinden. „Ich werde eine Ausbildung beginnen. Zur Event-Managerin. Der Vertrag ist unterschrieben, am 1. September geht es los. Ich weiß das ist nicht das, was ihr für mich wolltet, aber ich möchte nicht studieren. Jedenfalls jetzt noch nicht. Außerdem werde ich bei Vanessa ausziehen und mit Caro zusammen ziehen. Ich habe das Gefühl, dass mir das eine große Stütze im Alltag sein wird.“

Stille. Ich bekam Angst, dass dieser Plan meinen Eltern nicht zusagte. Natürlich hatten sie im Endeffekt nichts zu bestimmen, aber verärgern wollte ich sie auch nicht. Schon zu viel Kummer hatten sie wegen mir und meines Verhaltens erdulden müssen.

„Ich finde das ist ein toller Plan.“, sagte meine Mama schließlich. Mein Vater griff über den Tisch und nahm Caros Hand in seine. „Du bist ein guter Mensch und hast einen wunderbaren Einfluss auf mein kleines Mädchen. Ich hoffe, es ist nicht das erste Mal, dass dir jemand sagt, was für ein absoluter Engel du bist.“

Das und seine Worte vorher, das war sein Segen. Caro traten Tränen in die Augen, als sie Papas Hand drückte. „Ihr seid tolle Menschen und ich fühle mich hier sehr wohl. So sehr, wie ich mich geehrt fühle.“ sagte sie zu meinen Eltern.

Als wir nach Berlin zurückkehrten, hatte sich zwischen mir und Caro etwas geändert; wir standen uns noch näher, genossen umso mehr die Gesellschaft des Anderen. Es fiel mir schwer zu glauben, dass ein Mensch den ich erst seit so kurzer Zeit kannte ein so wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden war.

Es kam halt nicht im Geringsten darauf an, wie lange man sich kannte; sicher, ich mochte meine alten Freunde, verbrachte gerne meine Zeit mit ihnen, genoss die unbeschwerten Unternehmungen mit ihnen.
Doch Caro war für mich da gewesen, als niemand hatte helfen können. Vielleicht wollten sie auch nicht.

Vielleicht gaben sie auch zu schnell auf, vielleicht wollten sie sich selbst schützen. Ich wusste es nicht und es interessiert mich auch insoweit nicht, weil ich es nachvollziehen konnte.

Ich hatte vollstes Verständnis dafür, wenn jemand Abstand genommen hatte, weil er gesehen hatte, wie ungesund meine gesamte Zeit mit David gewesen war und Angst gehabt hatte mit reingezogen zu werden.

Als Caro und ich in unsere gemeinsame Wohnung zogen, musste ich Vanessa versprechen, dass ich mindestens alle zwei Wochen zum Essen vorbeikommen würde; ich hielt dieses Versprechen und genoss jedes einzelne Treffen.

Ich begann meine Ausbildung, Caro ging wieder zurück zur Uni. Der Alltag zog in unser Leben ein, doch er tat mir gut. Meine Arbeit machte mir großen Spaß, zeigte mir Möglichkeiten, an die ich zuvor nie gedacht hatte. Ich entwickelte mich weiter, wuchs an meinen Aufgaben und verarbeitete mit jedem Tag das Vergangene etwas mehr. Irgendwann konnte ich über meine Beziehung sprechen, anderen Menschen erklären was geschehen war.

Natürlich, wusste ich, dass es Menschen gab die deutlich Schlimmeres durchgemacht hatte, doch das verringerte meinen Schmerz nicht, es machte die Demütigung und all die Zweifel nicht rückgängig.

Als ich im darauffolgenden Frühling auf der Straße David begegnete war ich so weit, dass ich mit erhobenem Kopf an ihm vorbeilaufen konnte. Zuerst hatte ich ihn gar nicht erkannt; er war dünn geworden, geradezu dürre, sein Gesicht war eingefallen, seine Haare schulterlang, strähnig und fettig. Nichts war mehr übrig von dem gutaussehenden Mann der mich fast zwei Jahre zuvor im Café angesprochen hatte.

Ich bin mir nicht sicher, ob er mich überhaupt erkannt hatte, ob er meine Anwesenheit bemerkt hatte, doch es tat mir unheimlich gut so selbstbewusst an ihm vorbeigehen zu können, ihm zu zeigen, dass ich es überstanden hatte.

Am selben Abend lernte ich Nick in einer Bar kennen. Er war das komplette Gegenteil von David: ruhig, überlegt, mit einer klaren Vorstellung vom Leben. Anfangs fand ich ihn ein bisschen langweilig und warf Caro immer wieder böse Blicke zu, als sie mich zweideutig angrinste, während sie mit seinem Bruder flirtete. Das anfängliche Schweigen entwickelte sich schon bald zu einer angeregten Diskussion über Pokémon. Auch, wenn ich mir hin und wieder seltsam vorkam über solch ein Thema so angeregt zu diskutieren, kam ich nicht umhin dieses Gespräch zu genießen. Mir fielen sofort einige Dinge auf, Dinge, die ich durch meine Erfahrungen in den Fokus gerückt hatte, sollte ich mich mit jemandem unterhalten.

David hatte nie über sich geredet, immer versucht die Stille zu füllen, mich selten ausreden lassen und meine Meinungen und Ansichten immer als lächerlich und falsch dargestellt und mir geradezu seine Perspektive aufgedrängt; natürlich war mir das alles erst wirklich im Nachhinein klar geworden.

Nick hingegen hatte kein Problem damit mal zwei Minuten nichts zu sagen und einfach die Stille zu genießen. Er ließ mich ausreden, hörte genau zu. Wenn ich anderer Meinung war, sah er mich interessiert an und überlegte; als würde er meine Meinung wirklich von allen Seiten und mit seinem Wissen betrachten. Den Test endgültig bestanden hatte er dann, als er bei einem besonders hitzigem Thema lachte und ohne Umschweife zugab, dass ich recht hatte und er nicht alle Fakten berücksichtigt hatte.

Ich fing an mich regelmäßig mit Nick zu treffen; hielt ihn jedoch auch auf Abstand. Er nahm es so hin, auch wenn ich immer mal wieder bemerkte, dass er überlegte was mit mir nicht stimmte.
Wir unternahmen viel, er stellte mich seinen Freunden vor, integrierte mich vollständig in sein Leben. Ich hielt mich zurück, aus Angst vor einer Wiederholung.

Rein logisch betrachtet war mir klar, dass das nicht möglich war. Dass Nick nicht nur ein völlig anderer Mensch war als David, sondern dass es auch darauf ankam wie ich mich behandeln ließ.

Am Ende war es Caro die mich davon überzeugte ihm eine Chance zu geben. Sie redete mir zu, hörte sich nächtelang meine Bedenken an und nahm sie ernst, wischte sie nicht einfach weg und erklärte sie als kindisch. Einmal mehr bewies sie, warum sie meine beste Freundin war.

Als ich Nick schließlich an mich heranließ, konnte ich mich nicht erinnern, warum ich solange damit gewartet hatte. Vom ersten Moment an machte er mich unwahrscheinlich glücklich, trug mich auf Händen. Er sagte nicht zu allem ja, doch wenn wir unterschiedlicher Meinung waren dann gab es eine Diskussion, nur einmal hatten wir einen richtigen Streit, und selbst diese Probleme wurden rational aus der Welt geschafft.

Ich erzählte ihm von David, als ihm wieder einmal auffiel, dass ich mich bei einer Diskussion in mich selbst zurückzog und ihm einfach nur zustimmte, obwohl ich ganz genau wusste dass ich recht hatte.

Er nahm mir das Versprechen ab, mich nie wieder unterbuttern zu lassen und versprach mir, egal wie sehr wir uns stritten, egal wie wir eines Tages zueinander stehen würden, dass er meine Meinung immer respektieren würde und gerade eine eigene Meinung an Frauen unwahrscheinlich attraktiv fand.

Nachdem wir unsere hitzige Diskussion beendet hatten, ließ sich Caro auf die Armlehne meines Sessels fallen – sie war in der Küche gewesen um nach dem Essen zu sehen. „Du hast den Test bestanden.“, sagte sie grinsend zu Nick.

Seit diesem Abend waren Nick und ich ein Paar, offiziell und abartig glücklich. Mein anfänglicher Eindruck dass er langweilig war, stellte sich als falsch heraus; denn auch Nick war ein Abenteurer.

Nach und nach bemerkte ich den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Männern, die ich an mich ran gelassen hatte; wo David impulsiv und unüberlegt gewesen war, war Nick ruhig und rational. Wenn David mit mir in einen Club gehen wollte, um die Nacht durchzutanzen, vollgepumpt mit Adrenalin und der Gier nach niemals zufriedenstellendem Abenteuer in den Augen, war Nick mit einer langen Nacht zufrieden, die man mit einem ungesundem und fettigem Frühstück und dem Sonnenaufgang abschloss.

Ich hatte immer gedacht dass David das verkörperte was ich gebraucht hatte; das niemals endende Abenteuer, immer auf der Suche nach dem nächsten Adrenalinkick, immer höher hinaus, nichts war niemals genug. Doch es war Nicks Ansicht, die ich komplett teilen konnte: das Abenteuer, das genügte. Das Adrenalin, das abflaute und ich damit zufrieden war. Die einzelnen Momentaufnahmen die das Leben zu einem aufregendem Marathon machten, nicht der anstrengende Sprint den David an den Tag legte.

Ständig hatte Nick eine neue Idee wie wir unsere Wochenenden verbringen konnten; er stand morgens vor meiner Tür und wir fuhren zur Ostsee, er überraschte mich mit einem Trip nach Prag, fand ständig neue Orte in der Stadt die ich noch nicht kannte, die er mir aber unbedingt zeigen wollte.

Und bei all unseren Erlebnissen gab er mir niemals das Gefühl, weniger wert zu sein. Er gab mir immer das Gefühl, dass ich wichtig war, dass meine Meinung wichtig war.

Als wir eines Abends einen langen Spaziergang unternahmen und die ersten Vorboten des Frühlings genossen, trafen wir Robert auf der Straße. Zuerst bemerkte ich ihn nicht, ich war zu beschäftigt damit von Nick gekitzelt zu werden und nicht allzu auffällig aus seiner Reichweite zu entkommen.
Tatsächlich bemerkte ich ihn nur, weil er mich ansprach. „Maia?“

Ich drehte mich, immer noch lachend, um. Und war mehr als überrascht ihn zu sehen.
Wir sahen uns einige Sekunden verblüfft an, dann schüttelte ich den Kopf, nahm Nicks Hand. „Robert, das ist Nick. Mein Freund.“ Ich betonte die letzten beiden Worte; hauptsächlich weil ich nicht wusste, ob er wieder Kontakt zu David hatte. Wenn ja, dann sollte lieber sofort bei ihm ankommen dass ich vergeben war. Glücklich vergeben.

„Nick, das ist Robert. Er ist der …“ die letzten Worte verschluckte ich. Irgendwie prasselten zu viele Erinnerungen auf mich ein, um eine vernünftige Vorstellung durchzuführen.

„Der beste Freund von dem, dessen Existenz aberkannt wurde.“, sagte Nick angesäuert und reichte Robert widerwillig die Hand. Ich lächelte schwach, irgendwann hatte Nick angefangen David so zu nennen und weigerte sich ihn bei seinem Namen zu nennen. Mein Vater – der inzwischen öfter mit Nick telefonierte, als ich ihn manchmal sah – fand das unwahrscheinlich lustig und empfand das als besten Beweis dass Nick das Beste ist was mir jemals passiert war.

Robert senkte beschämt den Blick; die Stille breitete sich unangenehm zwischen uns aus, verschluckte jegliche positive Energie die irgendeiner von uns vielleicht an diesem Tag ausgestrahlt hatte.

Es war so ziemlich die unangenehmste Stille die ich jemals erlebt habe; und sie dehnte sich immer weiter aus, zog sich wie Kaugummi.

Wir standen schweigend auf der Straße; keiner traute sich irgendwas zu sagen. Vielleicht hatten wir auch nichts zu sagen. Es war nicht so dass ich besonders viel mit Robert zu tun gehabt hätte, doch dass wir uns gar nichts zu sagen hatten machte mich seltsamerweise traurig.

Nick drückte meine Hand, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: „Ich gehe mal in den Laden da rein.“ Ich blickte ihn überrascht an, dann lächelte ich. Das war seine Art mir zu zeigen, dass er mir Zeit gab, um die Dinge auf die Reihe zu kriegen, bei denen er mir nicht helfen konnte. Dass er es verstand, wenn ich kurz alleine mit Robert reden wollte.

Nachdem Nick gegangen war schien Robert sich ein bisschen zu entspannen, er kickte mit dem Fuß einige Kieselsteine durch die Gegend. „Das ist also dein Freund.“, sagte er.
Ich runzelte die Stirn, mir passte sein Tonfall nicht. „Ja allerdings. Schon seit einem Jahr.“ erklärte ich deswegen.

Robert sah mich überrascht an. „Ich dachte, du und David ihr habt es nochmal miteinander versucht.“
Ich glotzte ihn einfach nur an, unfähig das zu verarbeiten was er gerade gesagt hatte. „Wie bitte?“ brachte ich schließlich heraus.
„Das hat David mir gesagt, als wir vor einigen Wochen geredet haben.“

Anscheinend war mir meine Überraschung deutlich anzusehen, denn Robert runzelte die Stirn, atmete tief durch. Dieser Laut klang zutiefst erschöpft, als könnte er nicht glauben, dass er auf so etwas reingefallen war. Als hätte er es einfach nur satt, ständig belogen zu werden. Was wahrscheinlich auch der Wahrheit entsprach.

„Ihr habt es nicht nochmal miteinander versucht.“ beantwortete Robert seine eigene Frage.
Ich schüttelte sprachlos den Kopf, wusste nicht wie ich auf diese Dreistigkeit antworten sollte. War mir nicht mal sicher, ob diese Aussage überhaupt eine Antwort verdiente.

„Es sollte mich eigentlich nicht wundern.“ fuhr er fort. „David hat sich komplett verändert. Ich komme nicht mehr an ihn ran und inzwischen habe ich auch aufgegeben es zu versuchen.“
Ich sah ihn an, überlegte was wohl noch alles zwischen den Beiden passiert war. Dass man seinen besten und ältesten Freund vergraulte, dazu gehörte ein bisschen mehr als ein paar schlechte Wochen. Ich hatte die Freundschaft der Beiden immer als sehr tief gehend und unzerstörbar wahrgenommen, doch anscheinend hatte David es geschafft auch das in den Sand zu setzen.
„Wieso hast du dann noch Kontakt zu ihm?“, fragte ich schließlich. Ob ich die Antwort wirklich hören wollte, wusste ich selbst nicht so genau.

Robert fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht und schloss kurz die Augen. „Ich kenne ihn schon so lange, da fällt es mir schwer zu glauben, dass es das gewesen sein soll, weißt du? Ich glaube, ich will nicht wahrhaben dass es vorbei ist, dass er sich für einen Weg entschieden hat auf dem ich ihn nicht begleiten kann. Nicht begleiten will.“
Er sah todtraurig aus, abgekämpft und einfach nur müde.

Ich weiß nicht was mich im Endeffekt dazu bewegte, doch ich trat auf Robert zu und schlang meine Arme um ihn. Hielt ihn fest. Nach einigen Momenten erwiderte er die Umarmung und dann geschah etwas womit ich niemals gerechnet hätte: Robert fing an zu weinen.

Ich wusste nicht was ich tun sollte, also hielt ich ihn einfach nur. Fragte mich, wann er das letzte Mal in den Arm genommen worden war, wann er das letzte Mal hatte Schwäche zeigen dürfen. Insgeheim fragte ich mich, ob ich damals wohl genau so ausgesehen hatte. Ob mich jemand so angesehen hatte; voller Mitgefühl und dem dringendem Bedürfnis den Schmerz irgendwie verschwinden zu lassen.

Mir wurde erst in diesem Moment klar wie sehr Robert eigentlich leiden musste. Es zieht nicht spurlos an einem vorbei zu sehen wie der beste und älteste Freund, der ausgesuchte Bruder, sich langsam, Stück für Stück selbst zerstörte. Wie man nur dastehen konnte und absolut gar nicht dagegen machen konnte.

Wir standen einige Minuten ruhig da, nur das Geräusch von Roberts gequälten Atemzügen war zu hören. Mir traten Tränen in die Augen, während ich ihm über den Rücken strich.

Manche Menschen waren einfach Gift für ihre Umgebung und man musste lernen sie gehen zu lassen, so schwer es einem auch fiel. Egal, wie viele gute Erinnerungen an dieser Person hingen.
Manchmal gaben Menschen sich auf und steuerten geradewegs auf einen bodenlosen Abgrund zu und es lag an einem selbst zu erkennen, wie weit man mitgehen konnte. Man musste rechtzeitig erkennen, ob man die Person noch zurückreißen konnte oder ob sie einen mit in den Abgrund zerren würde.

David war so ein Mensch; er hatte sich aufgegeben. Ich wusste immer noch nicht wieso oder wie lange dieser Prozess nun eigentlich schon lief. Ich hatte mich viel zu weit mitziehen lassen, hatte nicht dagegen angekämpft, obwohl ich den Abgrund schon gesehen hatte.

Glücklicherweise hatte ich mich losreißen können, um mich wieder aufzubauen und diese Stärke und Einsicht wünschte ich Robert von ganzem Herzen.

Doch, es war nicht meine Aufgabe diesen Erkennungsprozess auch zu überwachen; so sehr ich ihn mochte – er war immer gut zu mir gewesen. Ich konnte einfach nicht seine Aufpasserin spielen, hatte noch zu viel mit meinen eigenen Wunden zu tun. Ich hatte mich mit Menschen umgeben die mir guttaten, die mir halfen, mir Kraft schenkten. Vorerst brauchte ich meine Kraft noch für mich alleine.

Im Endeffekt hatte ich David nie wirklich gekannt, hatte mich kopfüber in eine Beziehung gestürzt, ohne auch nur im Entferntesten auf Signale zu reagieren. Ich hatte mich voll und ganz dem Verderben hingegeben, in der blinden Hoffnung, dass es mir guttun würde, dass es mir helfen würde mich selbst zu finden. Doch genau das Gegenteil war passiert.

Doch all das war Vergangenheit und ich war fest entschlossen die Ereignisse nicht mehr allzu nah an mich heranzulassen, mich nicht im Strudel der Erinnerungen zu verlieren. Als Robert und ich uns verabschiedeten und ich mich auf die Suche nach Nick machte, bemerkte ich dass mir ein Zettel in die Jackentasche geschoben worden war. Darauf stand eine Telefonnummer, sonst nichts.

Ich zögerte kurz, ließ sie dann jedoch in den nächsten Mülleimer fallen. Meine Kraft brauchte ich für mich alleine, ich konnte und wollte mich nicht so sehr auf die negativen Empfindungen anderer Menschen einlassen, schon gar nicht auf diesen Menschen. Hatte ich doch mittendrin gesteckt und am eigenen Leib erfahren wie kräftezehrend es war.

Vielleicht war das eine achtlose Tat von mir, doch im Endeffekt waren die Probleme die mich beschäftigen sollten meine eigenen und nicht die von anderen Leuten. Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Unterstützung und sich so sehr auf die Probleme anderer einzulassen, dass man irgendwie doch ein Teil davon wurde. Dazu war ich nicht bereit. Dafür würde ich nie bereit sein.

Ich hatte mir fest vorgenommen diese Zeit meines Lebens hinter mir zu lassen und damit erneuerte ich mein Versprechen an mich selbst. Dass ich selbst an erster Steller stand. 

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