Sonntag, 13. August 2017

| Eigenes | Kamikaze IV

One more time I swear I’ve gotta give it up.


Es fiel mir schwer mich wieder bei Vanessa einzuleben. Ständig fragte sie mich, wie es mir ging, ob ich etwas brauchte, was ich machen wollte. Ich wusste, dass sie sich nur Sorgen um mich machte und praktisch darauf wartete, dass ich komplett zusammenbrach, doch belastend war ihre Sorge dennoch.

Dadurch fühlte ich mich gleich noch schlechter. Vanessa hatte so viel für mich getan und ich war genervt von ihr. Sie sah mich manchmal an, als würde sie mich bemitleiden und in meinem verkorksten Hirn kam das einer Straftat gleich.

Niemand war überraschter als ich, dass ich, bis auf diesen einen Abend, nicht ein einziges Mal weinte. Vielleicht hatte ich an diesem Abend alles rausgelassen, hatte all meine Scham und Wut schon aufgebraucht, um noch irgendwas außer tiefer Erschöpfung zu verspüren. Dabei wünschte ich mir, dass David sich meldete. Es war nicht unbedingt, dass ich zu ihm zurückwollte, ich hatte nicht vergessen, wie er mich behandelt hatte, doch ich wollte, dass er um mich kämpfte.

Ich kam mir ersetzbar und wertlos vor, wenn der Mann mit dem ich sechs Monate lang eine Beziehung geführt hatte nicht einmal ansatzweise versuchte irgendwas zu erklären oder zu retten.
Ich schlief jeden Abend mit dem Gedanken ein, dass David mich niemals geliebt hatte und übertrug sein Verhalten automatisch auf meine Persönlichkeit und mein Aussehen.

Und das ist so ziemlich das Schlimmste was mir passieren konnte. Niemand hatte mir jemals beigebracht, wie ich mein Selbstbewusstsein behielt, nachdem man es mir systematisch zerstört hatte.

Natürlich, wurde mir auch langsam klar, dass ich nicht unschuldig an der ganzen Sache war. David hatte sich falsch verhalten, er war der aktive Part dieser giftigen Beziehung gewesen, doch ich war der passive gewesen. Ich hatte ihn nicht aufgehalten, kaum widersprochen und einfach alles mit mir machen lassen.

Das machte mich nicht zum Täter, nicht mal zum Mittäter. Doch das ich ein Opfer war, machte diese Tatsache nicht weniger real.

Nach einigen Tagen rief ich Caro an und erzählte ihr, was vorgefallen war. Sie bewies mir, dass ich mit meiner ersten Vermutung recht gehabt hatte; sie ließ alles stehen und liegen und kam sofort zu mir. Vanessa wollte mich nicht alleine lassen, aus Angst ich könnte eine Dummheit begehen und zu „dem Arschloch“, wie sie David nannte, zurückkehren. Also setzten wir uns zu dritt in das geschlossene Café, tranken Wein und unterhielten uns.

Vanessa und Caro verstanden sich super, sie verbündeten sich geradezu gegen mich. Redeten immer wieder auf mich ein; sie spürten, dass mein Widerstand an diesem Abend besonders schwach war.

Als Vanessa mich interessiert nach Davids guten Seiten fragte, war ich geschockt wie wenig und langsam ich antworten konnte. Ja, er hatte mir ab und zu Frühstück gemacht, hatte mich anfangs umworben, doch an sich hatte er mir nie wirklich etwas Gutes getan.

Er hatte sich nie dafür interessiert, was ich in der Zukunft machen wollte, denn die Zukunft hätte ohne ihn stattfinden können und damit kam David nicht klar. Dass ich eines Tages mein Leben ohne ihn bestreiten könnte.

Im Laufe des Abends wurde ich immer wütender. Eine Wut, die ich körperlich spürte. Ich zitterte, als ich bei meinem dritten Glas Wein angekommen war. In meinem vom Alkohol vernebelten Gehirn hielt es für eine gute Idee David anzurufen, nachdem Caro gegangen war und Vanessa mir schließlich etwas Freiraum gegeben hatte, weil sie ins Bett ging.

Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett, mein viertes Glas Wein fest umklammert, und wählte Davids Nummer. Dann starrte ich das Display meines Handys einfach nur an. Ewig lange und versuchte rauszufinden, was genau ich eigentlich sagen wollte.

Kurz überlegte ich, ob ich nicht gleich vorbeigehen sollte, doch die Möglichkeit, dass David komplett ausrasten würde, war zu hoch. Nach diesem Gedanken lachte ich laut auf. So sollte es nicht sein, ganz und gar nicht. Die erste Träne rollte über meine Wangen, als mir klar wurde, was aus meiner Beziehung geworden war. Ich hatte Angst meinen Exfreund anzurufen, der immer noch Sachen von mir hatte. Und zwar gründete diese Angst nicht auf Gefühlen von Wärme, Liebe und Zuneigung. Ich hatte Angst vor diesem Anruf, weil ich Angst vor ihm hatte.

David konnte unwahrscheinlich fies und beleidigend werden, er wusste wie er Worte einsetzen musste, um sein gegenüber in die Knie zu zwingen. Ich hatte schon gesehen, wie er eine sehr selbstbewusste Blondine innerhalb von drei Minuten zum Weinen gebracht hatte. Sie hatte mir so leidgetan, dass ich ihr auf die Toilette gefolgt war, auf der sie bitterlich geschluchzt hatte und mich angefleht hatte sie nach Hause zu bringen.

Als meine Wangen von meinen Tränen feucht waren, drückte ich endlich auf das grüne Symbol. Es tutete einige Male, dann erklang Davids schläfrige Stimme. „Ja?“
Mir verschlug es die Sprache. Was sollte ich sagen? Wieso hatte ich mir das vorher nicht genau überlegt? Wieso war ich eigentlich so unfassbar dumm?

Ich atmete tief durch, streckte meinen Rücken. „Du hast mich zerstört.“, sagte ich mit fester Stimme, vielleicht lallte ich auch ein kleines bisschen. Stille, gleichmäßiges Atmen.
„Maia?“

„Ja, verdammt.“ fauchte ich ihn an. Während alles aus mir heraussprudelte, wurde meine Stimme von einem festen Vorwurf zu einem jammernden Geständnis, was mich so sehr anwiderte, dass ich mir den restlichen Wein hinter die Binde kippte. „Wieso hast du mich wie ein Stück Dreck behandelt? Was habe ich denn je getan, um das zu verdienen? Wieso ist es dir unmöglich gewesen mich anständig zu behandeln? Du musst mir kein Auto kaufen, kein Schloss bauen oder irgendeinen Blödsinn von dem man als kleinen Kind träumt. Aber Respekt habe ich verdient, David. Wieso hast du mir keinen Respekt entgegengebracht?“

Ich hielt den Atem an, zählte die Sekunden. David schwieg, er atmetet immer noch vollkommen gleichmäßig, dass konnte ich ganz deutlich durch mein Telefon hören.

„Ich habe dich genauso behandelt, wie ich jede Frau behandeln würde.“ Das war seine Antwort. Er entschuldigte sich nicht. Langsam kam mir der Verdacht, dass er überhaupt nicht wusste, dass er etwas ganz gravierendes falsch machte. Er hatte nie gelernt wie man seine Mitmenschen behandelte. Jedenfalls, war das die Ausrede, die ich mir insgeheim zurechtlegte.

„Ist das alles was du zu sagen hast?“, fragte ich ungläubig. Wieso verhielt er sich so? Und wieso traf es mich so hart, dass er sich so benahm? Gott, Alkohol war wirklich nicht gut für mich. Der Alkohol machte mich weinerlich und ließ jedes meiner Probleme als unüberwindbare Barriere erscheinen, dabei war ich schon dabei gewesen eine Lösung für mein Problem zu finden.

„Maia, was willst du von mir hören?“, fragte David schließlich seufzend. Er klang müde. In meiner Dummheit glaubte ich, dass er anfing zu bereuen, wie er mich behandelt hatte.
„Ich möchte eine Entschuldigung hören.“, sagte ich schließlich.

Stille. Ich konnte nur sein Atmen hören, seine regelmäßigen Atemzüge. Konnte ihn förmlich denken hören. Und dass er so lange nachdachte, sagte eigentlich schon alles aus; er war sich keiner Schuld bewusst. Wägte seine Möglichkeiten ab, ob eine Entschuldigung sich zu seinen Gunsten auswirken würde.

Diese Tatsache, dass mein Seelenwohl eine so schwerwiegende Komponente war, über die man solange nachdenken musste, gab mir den Rest. Ich schluchzte laut auf und es war mir egal, dass David mich sehr gut hören konnte. Er sollte mich hören, sollte wissen, dass er der Grund für all meine Tränen war.

„Schlaf' deinen Rausch aus. Ich komme morgen vorbei und bringe deine Sachen mit.“ sagte David. Dann war die Leitung tot und ich saß weinend und zitternd auf meinem Bett.

Vanessa stand an meinem Bett, ich hatte sie gar nicht bemerkt. War so sehr mit meinem eigenen Leid beschäftigt gewesen, hatte so sehr geweint, dass ich meine Umgebung völlig ausgeblendet hatte.
Sie legte sich zu mir ins Bett, umarmte mich und ließ mich ihre Schulter voll heulen. Es dauert lange, bis ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

Am nächsten Tag kam David nicht wie versprochen. Und diese Tatsache machte mich unwahrscheinlich wütend und einmal mehr stellte ich mir die Frage, ob er das alles mit Absicht machte. Ob er jeden Schritt eiskalt durch kalkulierte und vorausschauend plante, ob er mich wirklich so sehr manipulierte. Oder ob er einfach nur ein vergessliches Arschloch war.

Dass er nicht kam, wie verabredet, fachte meine Wut immer weiter an. Mit jeder Stunde, die verging wurde ich wütender, legte mir die kreativsten Beleidigungen zurecht, sollte ich ihn doch noch sehen.
Nach dem Mittagsgeschäft hielt ich es nicht mehr aus. Ich informierte Vanessa darüber, dass ich zu David in die Wohnung fahren würde.

„Das wirst du nicht tun. Wir fahren nach Ladenschluss gemeinsam dahin.“ sagte sie streng.
Ich atmete tief durch. „Ich bitte dich nicht um Erlaubnis, Vanessa. Ich gebe dir Bescheid.“ Ich versuchte meine Stimme ruhig klingen zu lassen, scheiterte jedoch kläglich.
„Ich brauche diesen Schlussstrich und das muss ich alleine machen.“

Vanessa sah mich skeptisch an. Ich wusste, dass sie sich nur Sorgen machte, befürchtete ich würde mich einlullen lassen, doch diese Möglichkeit zog ich gar nicht in Betracht. Instinktiv wusste ich, dass es wirklich aus war. Dafür war mir in den letzten Tagen zu viel klar geworden.
Ich hatte, nachdem ich mich aus Davids Wohnung entfernt hatte, eine Regel eingehalten, die ich einer alten Schulfreundin immer geraten hatte, nachdem sie zum hundertsten Mal mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte.

Ich hatte mich nicht bei ihm gemeldet, drei Tage lang. Und es kam absolut gar nichts von seiner Seite. Und wieso sollte ich mit jemandem zusammen sein wollen, der sich drei Tage nicht meldete, nicht mal anrief und dann wieder auflegte? Wieso sollte ich mit jemandem meine Zeit verbringen, der es aushielt, drei Tage lang im schlechten voneinander getrennt zu sein?

Ironischerweise hatte ich mich an diese Regel gehalten. Drei Tage und es war nichts gekommen, also war es endgültig aus. All die anderen Sachen, die David zu mir gesagt hatte und die er mir angetan hatte – die ignorierte ich.

Als ich, einige Zeit später, vor der Wohnungstür stand geriet mein Beschluss gefährlich ins Wanken. Ich amtete noch einige Male tief durch, dann klopfte ich an die Tür.

David machte die Tür auf, sah mich an und schien es überhaupt nicht seltsam zu finden, dass ich vor ihm stand. Stattdessen blickte er mir erwartungsvoll in die Augen, wartete darauf, dass ich etwas sagte.

Wenn es unangenehm ist jemandem auch nur in die Augen zu blicken, sollte man sich ganz schnell auf dem Absatz umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung rennen. Doch, wie so oft in den letzten Monaten, tat ich genau das eben nicht.

Ich drängelte mich an ihm vorbei und lief schnurstracks Richtung Schlafzimmer. Es sah nicht so aus, als hätte er schon irgendwas eingepackt oder vorbereitet. Stattdessen stand er an der Wand gelehnt da, beobachtete mich, während ich durch die Wohnung huschte und meine Klamotten und Habseligkeiten zusammensuchte.

Es war mir extrem unangenehm so beobachtet zu werden, ohne dass er irgendwas sagte. Als meine Reisetasche fertig gepackt war und ich sie mir über die Schulter warf, sah ich ihm doch noch in die Augen.

„Hast du überhaupt nichts zu sagen?“, fragte ich. Teils verzweifelt, teils empört. Wie konnte es sein, dass er mich tatsächlich ohne ein einziges Wort gehen ließ? Hatte ich es nicht verdient, dass er sich zumindest bei mir entschuldigte?

„Was willst du von mir hören, Maia?“ wiederholte er die Frage der vergangenen Nacht. Ich war überrascht, Interesse aus seiner Frage herauszuhören. Einmal mehr wurde mir klar, wie absolut kaputt dieser Mann war. Er war sich absolut gar keiner Schuld bewusst.

„Ist das dein Ernst?“, fragte ich fassungslos. „Wie kannst du nur davon ausgehen, dass das auch nur irgendwie okay ist wie du mich behandelt hast. Du hast mich ständig beleidigt und gedemütigt. Nichts war je gut genug. Hast du jemals bemerkt, wie oft ich mich in den Schlaf geweint habe?“
David sah mich kurz an. Ließ seinen Blick über mich wandern, blickte dann aus dem Fenster. „Wenn ich dich so schlecht behandelt habe, wie kommt es, dass du ganze sechs Monate bei mir geblieben bist? Irgendwas muss ich ja richtig gemacht haben. Irgendwas muss dich ja gehalten haben.
Vielleicht solltest du da mal ansetzen und dir darüber im Klaren werden, warum du ein halbes Jahr lang bei einem Typen bleibst, der dich so schrecklich behandelt.“

Ich war sprachlos. Komplett sprachlos, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Das Traurigste an der ganzen Sache war, dass ich keinerlei Argumente dagegen aufbringen konnte. Ich war bei ihm geblieben, aus welchen Gründen auch immer.

„Jetzt schieb’ nicht mir die Schuld in die Schuhe.“ Zu mehr war ich nicht imstande. Eine schwache Verteidigung, aber ich mich durchringen konnte.
„Das habe ich nicht gesagt. Du solltest gehen und tu uns beiden einen gefallen und lösch meine Nummer. Vergiss dass wir uns jemals kannten.“ Er wirkte so anders, so kontrolliert und überlegt. Was war aus dem David von vor drei Tagen geworden? Der, der mich ausgesperrt hatte, weil ich nicht in die Wohnung gehen wollte? Wo war der unberechenbare David, der mich anschrie, weil ich die Tür ein bisschen zu laut zumachte?

Dieser Stimmungswechsel jagte mir eine Heidenangst ein, denn ich wusste; auf Sonnenschein folgte bei David kein Regen, sondern ein Unwetter.

Deswegen lief ich, so schnell ich konnte, an ihm vorbei Richtung Ausgang. Gerade als ich nach der Türklinke greifen wollte, umfasste David mein Handgelenk, drehte mich zu sich um.
Er gab mir einen sanften Kuss und sagte: „Auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst, aber ich liebe dich wirklich.“ Ich starrte ihn wieder einfach nur an, was langsam zur Gewohnheit wurde. Er schob mich aus der Wohnung raus, lächelte noch einmal und schloss dann die Tür.

Ich stand völlig verdattert auf dem Hausflur und versuchte das eben geschehene mit meinem Bild dieses Mannes zu vereinbaren. Das passte hinten und vorne nicht zusammen. Er war so … verständnisvoll und rücksichtsvoll gewesen, ehrlich und ruhig.

Trotz dieser positiven Wendung entfernte ich mich schnell von dieser Wohnung, brachte Abstand zwischen mich und dieser Situation. Nicht, dass ich in Versuchung kam diesem Mann noch eine Chance zu geben. Das konnte ich nicht riskieren. Einmal mehr verfluchte ich mich für meine Schwäche.

Als ich an diesem Abend im Bett lag überlegte ich immer noch hin und her wie ich diese Situation zu deuten hatte. Ging sämtliche Szenarien durch, die auch nur im Ansatz stimmen könnten.
Jedoch, kam ich einzig und allein zu dem Schluss, dass David vielleicht das erreichen wollte; dass ich nicht aufhören konnte an ihn zu denken, mein Bild von ihm änderte. Ihn plötzlich als umgänglicher und diskussionsbereiter sah. Letztendlich gehörte das nur zu seinem Spiel, seiner Manipulation.

Im Laufe der vergangenen Tage war ich mir immer mehr wie ein soziales Projekt vorgekommen, als würde er sich mit Absicht so sprunghaft verhalten, nur um zu gucken wie viel das dumme Mädchen davon mitmachte.

Kurz bevor ich in einen unruhigen Schlaf fiel, befahl ich mir nie wieder an diesen Mann zu denken und diesen Teil meiner Vergangenheit für immer zu vergessen. 

1 || 2 || 3 || 5

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen