Sonntag, 29. April 2018

| Rezension | 54 Minuten




Fakten

 

Originaltitel: This is where it end
Originalsprache: Englisch
Autor: Marieke Nijkamp
Erscheinungsdatum: 2016
Buchreihe: Einzelband
Seitenanzahl: 327 Seiten
 
deutsches Cover
englisches Cover

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Inhalt

Es passiert nicht viel im verschlafenen Opportunity, Alabama. Wie immer hält die Direktorin in der Aula der Highschool ihre Begrüßungsrede zum neuen Schulhalbjahr. Es ist dieselbe Ansprache wie in jedem Schulhalbjahr. Währenddessen sind zwei Schüler in das Büro der Schulleitung geschlichen, um Akten zu lesen. Draußen auf dem Sportgelände trainieren fünf Schüler und ihr Coach auf der Laufbahn für die neue Leichtathletiksaison. Wie immer ist die Rede der Dirketorin exakt um zehn Uhr zu Ende. Aber heute ist alles anders.
Als Schüler und Lehrer die Aula verlassen wollen, kann man die Türen nicht mehr öffnen. Einer beginnt zu schießen.
Tyler greift seine Schule an und macht alle fertig, die ihm unrecht getan haben. 

"Der Tag wird nie vorüber gehen. Heute wird nie mehr vorüber sein." - S. 294

ACHTUNG! SPOILER IM TEXT! 
 

Meine Meinung

54 Minuten“ behandelt ein extrem schwieriges, komplexes und emotionales Thema. Ein Amoklauf an einer Schule ist heutzutage leider nichts, was man sich in seinen schlimmsten Alpträumen vorstellt, sondern es ist überall auf der Welt immer wieder an der Tagesordnung. Ich habe mich schon immer für die Abgründe der menschlichen Seele begeistern können; es interessiert mich ungemein, was man für dunkle Seiten haben kann. Dieses Werk war das vierte, welches ich zu diesem Thema gelesen habe. Es war nicht das Beste, aber auch nicht das Schlechteste.

Die Geschichte ist in vier verschiedene Perspektiven unterteilt. Zwei von ihnen sind mitten im Massaker drinnen, einer ist in der Schule, allerdings nicht in der Aula eingeschlossen und die Letzte ist außerhalb der Schule und kriegt die Polizeiarbeit mit. An sich hat mir die Unterteilung der unterschiedlichen Blickwinkel gefallen, jedoch wurden diese so schnell gewechselt, dass es – vor allem am Anfang – schwer war, irgendeine Bindung zu einem der Charaktere aufzubauen. Sie alle haben die ein oder andere Verbindung zum Täter und diese Verbindungen werden auch gezeigt, jedoch nur oberflächlich.

Die wenigsten Amokläufer sind eiskalte Monster, die eines Morgens aufwachen, sich eine Knarre besorgen und ihre Mitschüler brutal abschlachten. Ich möchte nicht abstreiten, dass es solche Menschen nicht auch gibt, es war jedoch in „54 Minuten“ nicht der Fall. Meist sind es Mobbingopfer, psychisch Kranke Menschen, ausgeschlossen aus der Gesellschaft, zusammengebrochen unter dem Druck. Selbstverständlich, heiße ich es überhaupt nicht gut, wegen einigen Problemen sinnlos rumzuballern. Doch, kann man nicht abstreiten, dass dahinter meist eine unfassbare Komplexität an psychischen Vorgängen steckt. Diese Komplexität bezüglich Tylers Geschichte, also der des Amokläufers, hat mir gefehlt. Natürlich, hätte Marieke Nijkamp, sich dafür entscheiden können, dass er einfach nur wahnsinnig und kalt und gemeingefährlich ist. Und das wäre auch vollkommen akzeptabel gewesen.

Sie hat sich jedoch dafür entschieden Tyler eine Stimme zu geben. Jedoch nicht genug. Es wird nur kurz angeritzt, was ihn dazu verleitet hat so den Bezug zur Realität und seine Empathie zu verlieren. Er wurde mal verprügelt, wegen seines geschniegelten Auftretens verspottet. Seine Mutter ist gestorben, sein Vater guckt regelmäßig zu tief ins Glas. Seine Schwester hat sich in ein Mädchen verliebt (warum auch immer das schlimm sein soll) und wird vom Vater regelmäßig verprügelt. Und das war es schon. Es tut mir leid, aber das reicht mir nicht an Hintergrundarbeit. Es mag ja sein, dass das für einige schon ausreicht den Verstand zu verlieren, aber dann muss mir das auch alles erklärt werden und nicht einfach nur ein Erlebnis hingeworfen werden und dann soll ich erwarten, dass es einen Jungen, der zwar nicht beliebt, aber dennoch zufrieden war, dazu bringt sich in ein Monster zu verwandeln. Auch die Aussage am Ende „Ich wollte einfach nicht mehr alleine sein.“ wirkt dann einfach nur schwach.

Die anderen Protagonisten sind alle mehr oder weniger mitten im Geschehen drinnen. Eine der Personen lässt in diesen 54 Minuten auch sein Leben; was ich persönlich als übertrieben fand. Es war für mich nicht die logische Konsequenz. Die Schüler können der Aula entkommen, drei von ihnen (darunter zwei Protagonisten – Geschwister) können sich jedoch nicht nach draußen retten. Stattdessen wollen sie aufs Dach fliehen, wo sie von der Polizei gesehen werden und wo auch Tyler gesehen werden würde. Einer von ihnen kehrt um und wird dann von Tyler erschossen. Und diese Situation, so sehr ich den Tod des Charakters auch bedauert habe, war keine logische Konsequenz. Er hätte nicht sterben müssen, er hätte nicht umkehren müssen. Sie waren so gut wie in Sicherheit, jedenfalls sicherer als im Gebäude drin. Das mag wieder für Realismus sprechen, dass es Leute gibt die umkehren, um den anderen Zeit zu geben, sich opfern. Aber für mich wirkte es zu sehr dramatisiert und überspitzt.

Das was darauf folgte, war für mich der traurige Höhepunkt der Geschichte. Autumn konfrontiert ihren Bruder Tyler. Es wird im Laufe von „54 Minuten“ immer wieder deutlich, dass er mehrmals die Gelegenheit hatte sie zu erschießen. Autumns Hintergrundgeschichte wird von dem Traum beherrscht professionell, wie ihre Mutter, zu tanzen. Bevor Tyler sich selbst erschießt, zertrümmert er mit einer Kugel das Knie seiner Schwester. Tatsächlich war das die Szene, die mir am Besten gefallen hat, so tragisch sie auch ist, denn nicht nur, dass Autumn ihre Mutter verloren hat, von ihrem Vater verprügelt wird. Zuerst musste sie mit ansehen, wie ihr Bruder unzählige Menschen eiskalt tötet. Und bevor er sich selbst tötet, zerstört er noch ihren Lebenstraum. Wie es im Buch passend gesagt wird; er musste sie nicht töten, um sie zu zerstören.

Fazit


Alles in allem war „54 Minuten“ ein gutes Buch. Vielleicht hat die Autorin sich mit der Komplexität des Themas etwas übernommen. Mir haben die Abgründe gefehlt, wenn man sich schon dazu entscheidet, den Täter nicht als eiskaltes Monster, sondern als besiegten Menschen darzustellen. Hin und wieder hat Marieke Nijkamp den Ton getroffen und die richtigen Emotionen rüber gebracht, manchmal ist sie durch ihre eigene Geschichte durch gehuscht. Ich glaube, es ist mir lange nicht mehr so schwergefallen ein Buch zu bewerten.


Wer sich mit solchen Themen nicht auseinandersetzen möchte, sollte das Buch nicht lesen. Wer, wie ich, solche Geschichten als interessant und emotional empfindet, muss selbst entscheiden, ob ihm die Arbeit an der Hintergrundgeschichte, der ständige Perspektivwechsel und die Distanz zu dem Thema zusagen.


 3/5 Sternen

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