Freitag, 10. Juni 2016

| Rezension | Wintergirls


Fakten


Originaltitel: -
Originalsprache: Englisch
Autor: Laurie Halse Anderson
Erscheinungsdatum: 2009
Buchreihe: Einzelband
Seitenanzahl: 278 Seiten
 
 
englisches Cover
deutsches Cover

 


Inhalt

 
In der Silvesternacht leisten die beiden Freundinnen Lia und Cassie einen heiligen Schwur: Sie wollen alles dafür tun, die dünnsten Mädchen der Schule zu sein. Nun ist Cassie tot und für Lia bricht eine Welt zusammen. Doch die Stimmen in ihrem Kopf werden immer lauter. Sie befehlen ihr zu hungern und Lia gehorcht - in ihrem einsamen Kampf gegen sich selbst, ihre Eltern und ihre tote Freundin, die in der Welt der Wintermädchen auf sie wartet.

"In one aspect, yes, I believe in ghosts, but we create them. We haunt ourselves."
- S. 250

Meine Meinung

 

Wintergirls“ behandelt ein sehr schwieriges Thema, mit dem vielleicht auch nicht unbedingt jeder etwas anfangen kann. Ich kann verstehen, wenn man solche Themen nicht mag, weil sie zu emotional sind oder weil man einfach keinen Bezug dazu hat. Laurie Halse Anderson hat es dennoch geschafft die vorkommenden psychischen Krankheiten gut in Szene zu setzen und sie ein Stück weit zu erklären. Mit Protagonistin Lia kann man mitfühlen und eventuell sogar nachvollziehen wieso, weshalb und warum es so weit kommen musste.

Laurie Halse Anderson hat einen wunderschönen Schreibstil. Anfangs hatte ich einige Probleme in die Geschichte reinzukommen, doch dafür bin ich mit jeder Seite mehr ihrer Art Konflikte und Gedanken zu beschreiben verfallen. Das Buch ist nicht unbedingt Dialoglastig, doch dafür sind die vorkommenden Dialoge umso kraftvoller und wichtiger. Es gibt einige wirklich wunderschöne Zitate in diesem Buch.

Ich bin mit Lia einfach nicht warm geworden. Ja, sie hat mir Leid getan und ich kann auch einige ihrer Gedankengänge und Probleme durchaus nachvollziehen, aber irgendwann hört das Verständnis auf. Und dieser Punkt ist bei mir erreicht, wenn man sich wie eine verwöhnte, undankbare, respektlose und unhöfliche Göre verhält. Das hat auch gar nichts mit ihrer Krankheit zu tun. Egal, welche Probleme man hat, das gibt niemandem einen Freifahrtschein alles und jeden in seiner Umgebung mit in den Abgrund zu reißen. Tatsächlich weiß ich wie es ist in diesem Loch festzuhängen und sich unverstanden und ungeliebt zu fühlen.
Des Weiteren muss ich ganz ehrlich sagen, dass mir ihr ständiges Kalorien zählen richtig auf die Nerven gegangen ist. Mir ist bewusst, dass das ein Bestandteil der Magersucht bzw. Essstörung ist, aber deswegen muss ich das noch lange nicht gut finden oder einfach eiskalt ignorieren. Ich persönlich gebe einfach nichts auf eine Zahl, die mir von einem Gerät angezeigt wird und ich hatte mein Leben lang Freundinnen mit Essstörungen, habe gesehen wie diese Zahlen Menschen die ich geliebt habe zerstört haben. Vielleicht spielt da zu viel Persönliches bei mir rein, aber auf dieses Thema reagiere ich echt allergisch, was auch der Grund war, weshalb es mir in „Wintergirls“ so negativ auffiel.

Ein weiterer Punkt, bei dem ich wirklich zwiegespalten bin, ist die ganze Sache mit Cassie. Das Thema toxische Freundschaft ist für mich kein leichtes und geht mir sehr nahe. Ich möchte nicht mal sagen, wer von den beiden denn nun „die Böse“ ist, denn das kann man einfach nicht herausfiltern. Sie haben sich gegenseitig in den Abgrund gerissen und sich nichts Gutes getan. Wer oder was der Auslöser für all die folgenden Probleme waren, kann man nicht zu hundert Prozent sagen. Natürlich bekommt man als Leser den Eindruck, dass Lia eher Opfer ist, allerdings gibt sie auch unumwunden zu, dass sie Cassie keine Heilung gegönnt hat. Und das klingt für mich nicht nach Freundschaft. Dass Cassie nun bereits vor Handlungsbeginn verstirbt und Lia an Schuldgefühlen und einer immensen Trauer leidet und dadurch Cassie quasi als Geist in der Story dennoch einen Platz einnimmt hatte unglaublich viel Potenzial. Das war die Grundlage für eine gigantische und erstklassige Geschichte über Freundschaft und psychische Erkrankungen – ganz nach meinem Geschmack. Jedoch, finde ich persönlich, dass Laurie Halse Anderson zu wenig auf diesen Aspekt der Geschichte eingegangen ist. Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass Cassie immer nur dann als „Geist“ auftauchte, wenn die Handlung sonst nicht vorangekommen wäre oder damit es Lia nur noch schlechter geht, als ohnehin schon.

Wie bereits erwähnt war mir die ganze Sache mit Cassie etwas zu schwammig und stellenweise nur da um das gewisse Drama zu konstruieren. Lias und Cassies gemeinsame Geschichte und Cassies Tod ergeben durchaus Sinn und werden auch nicht stiefmütterlich behandelt. Jedoch, wird der Aspekt der „Heimsuchung“ in meinen Augen viel zu selten aufgegriffen und gipfelt in einer schon fast enttäuschenden finalen Auseinandersetzung. Die Szene war durchaus emotional und hatte ihre Daseinsberechtigung. Aber sie war auch verdammt kurz und irgendwie nur so nebenbei zum Ende irgendwie reingequetscht. Da hätte ich mir einfach viel mehr von erhofft in Sachen Verarbeitung und ja, auch Abschied nehmen.

Ich war und bin selbst Betroffene von psychischen Krankheiten, ebenso war und bin ich eine Außenstehende Person die eine nennenswerte zwischenmenschliche Beziehung zu jemand Betroffenem hat(te), deshalb möchte ich von mir einfach mal behaupten, dass ich beide Seiten durchaus verstehen und nachvollziehen kann. Allerdings bin ich durch eine erfolgreiche Therapie und der Auseinandersetzung mit mir selbst, tatsächlich zu einem großen Verfechter der Theorie geworden, dass man in solchen Situationen jemanden braucht, der einem richtig kräftig in den Arsch tritt. Leider, war das in „Wintergirls“ nicht der Fall. Ich kann die Verzweiflung der Eltern ebenso verstehen, wie ich Lia verstehen kann, allerdings muss ich auch ganz ehrlich sagen, dass mir die angebotene Hilfe und Unterstützung der Erwachsenen hier zu schwammig war. Da scheiterte es ja schon am Verstehen und Zuhören. Leider, stoßen psychische Krankheiten auch heute noch auf viel zu viele taube Ohren, wie es hier sehr schön gezeigt wurde.

Dennoch bleibt „Wintergirls“ ein Buch, welches wahnsinnig gut psychische Krankheiten (hier: Essstörungen) erklärt und beschreibt und den Leser fühlen lässt. Was man durchmacht, dass das komplette Denkmuster eines Menschen anders funktioniert wenn er erkrankt ist und ob und wie die Außenstehenden Einfluss nehmen können und dass sie es manchmal genauso schwer haben, wie die Betroffenen.

Fazit

 

Wintergirls“ ist ein wirklich gutes Buch, jedoch mit einigen Schwächen in der Schwerpunktlegung. Das kann aber auch an meinen persönlichen Erwartungen liegen. Es wird an meinen persönlichen Erwartungen liegen, das ändert meine Meinung jedoch nicht wirklich. Wir haben hier eine Protagonistin, der man Verständnis entgegenbringen kann, aber nicht wirklich mit ihr sympathisieren kann. Psychische Krankheiten werden glaubhaft und gefühlvoll dargestellt. Ich würde das Buch im Großen und Ganzen schon als überdurchschnittlich gut bezeichnen, auch wenn es nicht so gewirkt hat.


4/5 Sternen






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen